Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 301 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Sennepilz.

  • Hallo Martin und alle andere Flechten-Affine,


    hier eine anatomische Frage,

    was sind das für schwarze Pünktle auf den Lappenrändern der (vermutlichen) Peltigera rufescens?

    Sind das "Knospen" für neue Schaufel-FKs?

    Es sieht so aus als ob das am Ende der dunklen Adern ist: ist das dann die Wachstumszone der Lappen?

    Bei den aufgewellten Rändern kommen auch dunkle Rhizinen raus: sind die Punkte evt. "Wurzelknösple"?


    Die Peltigeren heute waren sehr feucht, fast schwarz.


    Danke für Hinweise, inge

  • Hallo Inge,


    die Strukturen im letzten Foto sollten Apothecien-Initiale sein.

    Findet ein großes Lager, so befinden sich an den jungen, randlichen Lappen diese Apothecien-Initiale, an den älteren Lappen weiter innen hingegen ausgewachsene, reife Apothecien.

    Ich habe, wie ich meine, ein schönes Foto zum Verstehen gefunden:

    Bild A1 Peltigera membranacea mit reifen Apothecien im Zentrum und kleinen Initialen am Rand.

    An manchen Lappen lassen sich Initialstadien (?) finden, die fast mikroskopisch klein und dunkel sind (Bildeinsatz unten links, hier Thallus feucht).


    Die sehr dunklen und auch sehr dicht stehenden Strukturen im Bildeinsatz in Foto A1 sind wahrscheinlich noch jüngere Apothecien-Initiale (eventuell Pyknidien?).

    Um das zu entscheiden, müsste man mal mikroskopieren. Pyknidien werden bei Peltigera allerdings nur sehr selten gefunden und erwähnt (z.B. bei P. rufescens). Ich selbst kenne sie nicht.


    Rhizinen entstehen übrigens nicht am Rand des Lagers, sondern entwickeln sich allmählich aus den Adern auf der Unterseite.

    Die filzigen, unberindeten Adern leiden aufgenommenen Feuchtigkeit gut bis zum Rand des Lagers weiter. Am Thallusrand ist ein guter Platz, um die Sporen an die Umwelt abzugeben, deshalb entstehen die Apothecien vermutlich hier. Allerdings trocknet der exponierte Thallusrand auch schnell ein. Dass die Adern an den Apothecien enden, muss also nicht verwundern, denn es gilt, diese wichtigen Organe hinreichend feucht zu halten. Feuchte Apothecien können ihren Dienst tun, trockene überdauern nur.

    Bild A2 Unterseite der gleichen Flechte mit Rhizinen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien - jung, hell und klein am Rand, lang, dunkler und auffasernd zur Mitte hin.


    Da Ingo Sennepilz Peltigeren im Garten wachsen lässt und deren Entwicklung verfolgt, weiß er bestimmt darüber besser Bescheid.

    Hast du eine Erklärung dafür, Ingo, und erklärst uns netterweise die kleinen dunklen Fruchtkörperchen, eventuell deren Entwicklungsgang?


    LG, Martin

  • Hallo zusammen,


    die kleinen, bräunlichen „Knubbel“, die man nicht selten und z. T. auch in großer Zahl und Dichte an den Lappenrändern von Peltigera-Arten findet, sind nach meinen Beobachtungen eindeutig als Fruchtkörper-Anlagen zu betrachten.


    Martin hat hierfür den Begriff „Apothecien-Initiale“ verwendet, womit die Gebilde sehr gut umschrieben werden.


    Von der häufig großen Zahl dieser Anlagen bzw. Initiale entwickelt sich aber meist nur ein geringer Prozentsatz zu ausgewachsenen und fruchtenden Apothecien.


    Auf dem Foto der Peltigera membranacea von Martin stehen voll entwickelte Apothecien an älteren Lappen im Zentrum eines Schildflechten-Lagers, während sich die Initiale nur an den äußeren und jüngeren Lappen der Schildflechte finden.


    In anderen Fällen findet man nahezu alle Entwicklungsstadien (von der kleinsten, punktförmigen Anlage bis hin zu voll ausgebildeten Apothecien) zur gleichen Zeit an einer Schildflechte. Siehe hierzu das folgende Foto einer grünen Variante/Form von Peltigera ponojensis.




    Sehr unterschiedlich ist die Entwicklungszeit der Apothecien, die stark von den Witterungs- und damit Wachstumsbedindungen abhängt. So kann die Apothecien-Entwicklung in 2 bis 3 Monaten abgeschlossen sein, aber auch über ein Jahr in Anspruch nehmen.


    Nicht selten passiert auch gar nichts und die Anlagen bzw. die Initiale scheinen abzusterben, auch wenn die Lappen der Schildflechte noch völlig intakt und vital erscheinen.


    Als Beispiel möchte ich die bei mir in Nordwestdeutschland schon recht seltene Peltigera canina erwähnen, die ich hier in über 10 Jahren noch nie mit auch nur einem einzigen Apothecium gesehen habe. Die Anlagen/Initiale sind dagegen regelmäßig und reichlich zu beobachten (siehe das folgende Foto in der vollen Auflösung bzw. Vergrößerung).


    Peltigera canina



    Eventuell liegt es an den bei uns recht hohen atmosphärischen Stickstoffeinträgen, die bei Peltigera canina (und auch bei P. hymenina) die Entwicklung von Apothecien unterdrücken.


    LG Ingo

  • Hallo Ingo,

    vielen Dank für die anschauliche Erklärung und die Beispielbilder!

    Insbesondere die Entwicklungsdauer der Apothecien ist neu für mich.

    Da hat du einen großen "Heimvorteil", da du deine Peltigeren um Garten jederzeit und immer wieder beobachten kannst.


    LG, Martin

  • Danke Ingo,


    sehr edukativ!

    Wenn sich aus den "Knubbeln" Apothecien entwickeln, kann ich ableiten, dass es hier im Radolfzeller Aach-Ried nicht soviel N2 wie bei Dir in NW-Deutschland

    hat?

    Interessante Hypothese: Stickstoff als Wachstumsbremse für Schildflechten


    lG, inge

  • Hallo Inge,


    bei Euch da unten am Bodensee und auch in den meisten anderen Regionen Süddeutschlands sind die atmosphärischen Stickstoffeinträge in die Landschaft deutlich geringer als bei mir in Nordwestdeutschland, wo der Waldanteil gering und der Anteil intensiv genutzter landwirtschaftlicher Flächen sehr hoch ist.


    Eine direkte Wachstumsbremse für Schildflechten sind diese Stickstoffeinträge aber nicht, sie wirken indirekt, indem sie die Konkurrenten der Schildflechten (Moose und Gefäßpflanzen) fördern, was an vielen Standorten zur Verdrängung der Schildflechten und anderer bodenbewohnender Flechten führt.


    Lediglich bei einigen wenigen Arten, wie bei der von mir angeführten Peltigera canina, besteht möglicherweise auch eine direkte Wirkung, indem die Bildung von Apothecien (und damit die Ausbreitung über Sporen) unterdrückt wird. Mehr als eine Vermutung ist das aber nicht, eventuell sind ganz andere Faktoren für das Ausbleiben der Apothecienentwicklung verantwortlich.


    Bei der von Dir wahrscheinlich gefundenden und allgemein noch recht häufigen Peltigera rufescens lässt sich dagegen auch in Regionen mit starker Stickstoffbelastung noch keine verminderte oder ausbleibende Apothecienbildung beobachten.


    LG Ingo