Giftigkeit getrockneter Morcheln

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  • Guten Morgen zusammen,


    dieser gmx-Artikel https://www.gmx.net/magazine/r…-morchel-lorchel-40878188 , den ich ansonsten nicht schlecht finde, suggeriert, dass Morcheln bereits durch einen monatelangen Trocknungsprozess ungiftig gemacht werden könnten.


    Das höre ich zum ersten Mal und halte es für Quatsch - ich hatte jedenfalls schon mal einen Vergiftungsfall an Weihnachten, bei dem jemand zu kurz gegarte getrocknete Morcheln gegessen hatte.


    Googeln ergab, dass gmx mit dieser Ansicht nicht alleine dasteht, diese Aussage "Erhitzen ODER lange Trocknen" findet sich beispielsweise auch hier: https://www.ndr.de/ratgeber/ko…en/Morcheln,zutat480.html oder


    Insbesondere der letzte Link ist natürlich von vorne bis hinten Blödsinn ("Morcheln zählen zu den Schlauchpilzen, denn sie haben hohle Stiele" :gomg: ), und es wäre ja auch nicht das erste Mal, dass Journalist*innen einfach irgendwelchen Quatsch voneinander abschreiben.


    Ich habe immerhin in diesem Artikel: https://www.sciencedirect.com/…ience/morchella-esculenta

    die Information gefunden, dass Hydrazin flüchtig ist. Dann würde sich mir allerdings die Frage stellen, weshalb alle darauf abstellen, dass monatelang getrocknet werden muss - ich würde dann ja annehmen: trocken ist trocken :gkopfkratz:


    Angesichts meines Vergiftungsfalls wäre ich mir auch nicht sicher, wie super das funktioniert, und darüber hinaus gibt es ja möglicherweise auch noch andere Giftstoffe (mW ist z. B. noch nicht klar, welcher (hitzestabile) Stoff das Neurotoxische Morchella-Syndrom auslöst).


    Weiß jemand mehr?


    Danke schon mal und beste Grüße

    Sabine

    100 Startguthaben minus APR-Gebühr 2024 = 90 + 3 (drittschnellstes Jokerverballern 2024) = 93 + 10 (dritter Platz APR) = 103

  • Hallo Sabine,

    eine Antwort darauf kann ich auch nicht liefern, vielleicht mal bei der DGfM im Fachausschuss Pilzverwertung und Toxikologie nachfragen https://www.dgfm-ev.de/ueber-u…erwertung-und-toxikologie

    In der Pilzberatung sind mir noch keine Morcheln vorgelegt worden, würde da aber wie beim Hallimasch reagieren: Auf eigene Gefahr eine kleine Menge ausreichend erhitzt probieren ob sie vertragen werden,

    viele Grüsse

    Matthias

  • Hallo Matthias,


    gute Idee, vielen Dank, ich habe Dr. Berndt mal gefragt.


    Beste Grüße

    Sabine

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  • Mal schauen ob da jemand mitmachen möchte...

    Also ich nicht - Dill an meine Morcheln - ich glaub', es geht los... X/


    Beste Grüße

    Sabine

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  • es wäre ja auch nicht das erste Mal, dass Journalist*innen einfach irgendwelchen Quatsch voneinander abschreiben.


    Ich habe immerhin in diesem Artikel: https://www.sciencedirect.com/…ience/morchella-esculenta

    die Information gefunden, dass Hydrazin flüchtig ist.

    Hi,


    wenn ich Hydrazin und lange trocknen lese, denke ich eher Gyromitra esculenta und nicht an Morchella esculenta. Ich vermute, dass hier jemand Morcheln mit Lorcheln verwechselt hat, denn für Gyromitra ist beides bekannt.


    l.g.

    Risspilz: hui; Rissklettern: bisher pfui; ab nun: na ja mal sehen...


    Derzeit so pilzgeschädigt, das geht auf keine Huthaut. :D


    Meine Antworten hier stellen nur Bestimmungsvorschläge dar. Verzehrsfreigaben gibts nur vom PSV vor Ort.

  • Hallo Climbingfreak,

    wenn ich Hydrazin und lange trocknen lese, denke ich eher Gyromitra esculenta und nicht an Morchella esculenta. Ich vermute, dass hier jemand Morcheln mit Lorcheln verwechselt hat, denn für Gyromitra ist beides bekannt.

    Hast du in den Artikel reingeschaut? Da werden beide Arten/Gattungen erwähnt und unterschieden.


    Beste Grüße

    Sabine

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  • Hi.


    Man kann ja die Gattungen unterscheiden und trotzdem Quatsch schreiben. Das "monatelange Trocknen" tönt schon sehr nach einer Verwechslung mit dem hitzelabilen und flüchtigen Gyromitrin, das einige wenige "echte" Lorcheln (Gyromitra s.str. und Gyromitra leucoxantha - mittlerweile Piscidiscina leucoxantha) enthalten. Bei Gyromitra esculenta s.l. war das in den nordischen Ländern, die die auf der Speiseliste hatten, nämlich die übliche Vorbereitungsart.


    Ich kenne keine seriöse Quelle, die Hydrazine in Morcheln nachgewiesen hat. Der Giftstoff für das Morchella-Syndrom ist meines Wissens nach unbekannt, auch die Symptomatik ist doch unterschiedlich.


    Zitat

    "Im Jahr 2008 haben zwölf französische Centres Antipoison et de Toxicovigilance 301 Morchelintoxikationen ausgewertet. Bei 40 % der Vergifteten bestanden neurologische Symptome, die nach ± zwölf Stunden auftraten: Zittern, Schwindel, Sehstörungen und Muskelschwäche. Die Unfähigkeit, stehen und gehen zu können, beunruhigt Betroffene,Angehörige und Ärzte sehr. Wenn sich der beigezogene Pilzsachverständige sicher ist, dass keine Giftlorcheln verzehrt wurden, kann er die Betroffenen beruhigen und darauf hinweisen, dass der Spuk nach weiteren ± zwölf Stunden folgenlos wieder verschwindet. Offenbar führt ein noch unbekanntes hitzestabiles Neurotoxin nur zu einer funktionellen Störung von Hirnstamm, Kleinhirn und kortikalen Funktionen. Es ist in den Fruchtkörpern in nur sehr geringer Konzentration vorhanden, so dass nur eine sehr reichliche Morchelmahlzeit die neurologischen Symptome hervorruft. Die individuell vertragene Menge scheint unterschiedlich zu sein. Seit meiner Übersetzung der französischen Arbeit in der „Zeitschrift für Mykologie“ werden mir in jedem Frühjahr ein bis drei Vergiftungsfälle gemeldet."

    - Siegmar Berndt


    Im Flammer steht's ähnlich.


    Die beste Prävention vom Morchella-Syndrom dürfte der moderate Konsum sein, trocknen schadet sicher auch nicht (schon geschmacklich) aber das angepriesene "monatelange Trocknen" sowie die Behauptung, dass Hydrazine verantwortlich sein sollen dürfte mal wieder auf schlechter Recherche beruhen.


    LG.

    Posts sind nicht als Essensfreigabe zu verstehen. :-]
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  • Gyromitrin ist sehr zersetzlich und bildet Methylhydrazin, das als Salz im Pilzgewebe eingeschlossen, monatelang überlebt. Morcheln enthalten meines Wissens keine Hydrazinderivate, wohl aber unbekannte Neurotoxine. Die unterschiedliche Verträglichkeit könnte auf "chemische Rassen" zurückzuführen sein, zumal es sich bei den Morchelarten um "schlecht definierte Entitäten" handelt. Auch Morcheln (und Verpeln) sind in meinen Augen eher keine Speisepilze.

  • Hallo Zusammen,

    ich habe einen netten Artikel zu verschiedenen Vergiftungen mit Morcheln gefunden der wohl gut recherchert wurde mit weiterführenden Links im Artikel:

    Unwahrscheinlich Tödlich: Tod durch Morchel-Sashimi
    Wer frische Morcheln falsch zubereitet, muss mit Magen-Darm-Beschwerden rechnen, die gelegentlich tödlich enden
    www.spektrum.de

    Viele Grüsse

    Matthias

  • Hallo an alle,


    Matthias hat einen netten Artikel gepostet, aber um die Wahrheit hinter der journalistischen Sensationsjagd zu finden, muss man die zitierten Originalartikel lesen.


    So wie ich das verstanden habe, gibt es derzeit drei Todesfälle im Zusammenhang mit Morcheln:


    In USA wurden rohe ! Morcheln zu Sushi verarbeitet, was bei den Restaurantgästen zu Durchfall, Übelkeit und Erbrechen geführt hat. Zwei medizinisch vorbelastete Personen haben den Flüssigkeitsverlust durch den Durchfall nicht überlebt. Gyromitrin ist in Morcheln aber nicht enthalten.


    In Spanien gab es einen Fall von neurologischem und gastrointestinalen Morchella Syndrom, bei dem der Patient am Erbrochenen erstickt ist.


    So tragisch wie solche Fälle sind, würde ich Morcheln nicht als tödliche Giftpilze bezeichnen.


    Grüße,


    Wolfgang

  • Hi.

    Keine der dort genannten "Quellen" enthält Belege für die Hydrazin-Behauptung des Artikels.


    Ein guter Übersichtsartikel zu der Neurologischen Problematik und einigen der hier erwähnten Vergiftungsfällen kann hier eingesehen werden - Auszug:

    Zitat

    There is no real treatment, since neither the toxin nor its mechanism of action is known.


    Den Abschlussbericht zu der Massenvergiftung aus Montana gibt's auch online, großartige Erkenntnisse gibt der aber nicht her. Dass man Morcheln nicht roh futtern soll, ist den meisten denke ich bekannt - dem Restaurant mittlerweile wohl auch...


    LG.

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  • So tragisch wie solche Fälle sind, würde ich Morcheln nicht als tödliche Giftpilze bezeichnen.

    Klar ich auch nicht, dennoch sollte man bei Morcheln immer vor Rohverzehr warnen und man auch solche Fälle auch als mahnendes Beispiel nennen.

    Risspilz: hui; Rissklettern: bisher pfui; ab nun: na ja mal sehen...


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  • Morcheln, auch wenn sie lange gekocht wurden, können dosisabhängig zu Vergiftungssymptomen führen. Das ist kein Speisepilz für Freizeitpilzsammler, eher ein Giftpilz. Und es handelt sich um eine Gruppe von Spezies, über deren Inhaltsstoffe wenig bis nichts bekannt ist. Ziemlich leichtsinnig, so etwas zu essen.

  • Morchella Syndrom halt, kann auftreten beim Verzehr von:

    • zu alten / gammeligen Fruchtkörpern
    • zu großer Menge
    • unzureichend erhitzten Morcheln

    und außerdem wohl auch bei manchen Personen generell, wenn sie Morcheln einfach nicht vertragen.


    Häufige Symptome: Schwindel, Trunkenheitsgefühl, kognitive Aussetzer, Erbrechen / Übelkeit, erweiterte Pupillen

    Latenzzeit: 30 bis 60 Minuten

    Dauer: 1 bis 16 Stunden


    Finde es durchaus legitim, wenn basierend darauf jemand die Morchel als Giftpilz ansehen möchte. Verallgemeinern wie Martin würde ich das aber nicht und die Entscheidung jedem selbst überlassen.


    LG Christopher

  • Die Latenzzeit ist deutlich höher, eher zwischen 6-12h. Eine Kategorisierung als Giftpilz wäre durchaus vertretbar - tödlich giftig wäre aber sicherlich übertrieben. Langfristige Schäden bei Menschen, die das Syndrom erlebt haben, sind mir bisher auch nicht bekannt.


    Am Ende bleibt es mal wieder jedem selbst überlassen, welche Risiken er in Kauf nimmt. Dabei hilft es natürlich eine klare Faktengrundlage zu haben - bessere Informations-Links als der ursprüngliche GMX-Artikel sind ja hier im Thread mittlerweile ausreichend vorhanden.


    LG.

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  • ich habe einen netten Artikel zu verschiedenen Vergiftungen mit Morcheln gefunden der wohl gut recherchert wurde mit weiterführenden Links im Artikel:

    Danke, Matthias, den kannte ich sogar schon, war aber neulich am Grübeln, wo ich diesen Artikel gelesen hatte, deshalb vielen Dank für den Link!


    Ich denke, darüber, dass rohe und nicht getrocknete Morcheln giftig sind, bestehen keine Zweifel. Und die normale Verwendung von getrockneten Morcheln ist ja, dass man sie dann einweicht UND erhitzt. Meine Frage bezog sich auf die Behauptung, dass Erhitzen ODER Trocknen für die Entgiftung taugen könnte.


    Beste Grüße

    Sabine

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  • Beim Trocknen nimmt die Toxizität wohl ab, denn es wird mit einer höheren Temperatur gearbeitet. Wieviel an Toxin(en) zurück bleibt und ob es/sie sich beim Lagern unter Raumtemperatur weiter zersetzt/zersetzen ist unbekannt. Man weiß ja nichts über die molekulare Struktur. Aus der Erfahrung ist bekannt, dass das/die Toxin/Toxine wohl hitzelabil sind. Wie lange und wie hoch man erhitzen muss, ist spekulativ und hängt von der Ausgangskonzentration ab. Es mag Rassen geben, die wenig Toxin(e) synthetisieren. Fakt ist, dass Morcheln und Verpeln Giftpilze sind, die wohl thermisch entgiftet werden können. Zum (langfristigen) Risiko kann man nix sagen. Lorcheln jedenfalls sind neben ihrer akuten Toxizität auch kanzerogen. Es ist einfach so, dass der Verzehr dieses schlauchigen Zeugs ein Spiel mit einen unbekannten Risiko ist und das sind keine Pilze für gewöhnliche Sammler.