Verzweiflungstat

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 2.670 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Wildschwaiger.

  • Als begeisterter Pilzsammler ist man ja zu manchen Schandtaten bereit.


    Wohin die Verzweiflung eien treiben kann, will ich hier kurz berichten.


    Seit Wochen warte ich darauf, das auch in unserer Gegend endlich mal ein paar Pilze aus der Erde sprießen. Unverdrossen laufe ich mehrmals in der Woche bekannte und unbekannte Stellen ab, immer in der Hoffnung auf einen schönen Fund.


    Nix, Nada, Null, zählt man eine Handvoll einsamer und armseliger Pfifferlinge nicht mit.


    So bin ich auch gestern wieder los, wie bisher ohne zählbaren Erfolg.


    Alsdann ich an eine Stelle kam, einen ca. Fußballfeldgroßen Hang, auf dem bis vor einigen Jahren mächtige Eichen wuchsen. Und dort, unter diesen Eichen im Moos, wartete so mancher Pfifferling auf mich und mein Pilzkörbchen.
    Wie es so ist, fielen auch diese alten Monarchen der Kettensäge zum Opfer und wurden zu Brennholz verarbeitet. Frevel, meine ich, aber leider nicht zu verhindern.


    Das Gelände wurde dann jedoch, zu meiner Freude als Naturliebhaber, nicht aufgeforstet, sondern sich selbst überlassen.


    Haselnuss und Birke sind die Vorreiter und bilden einen dichten Bestand.


    Schon des öfteren stand ich davor, überlegte ob es sich wohl lohnen könne dort mal hinein zu kriechen. Wurde jedoch jedesmal verworfen. Haselnuss und Birke passt nicht wirklich zu Pfifferling. Das Dickicht ist schier undurchdringlich und es gibt ja sonst genug zu finden. Muss nicht sein.


    So stand ich dann auch gestern wieder vor dieser Stelle.


    Es ist ja ein sehr dichtes Dickicht. Es könnte darin feuchter sein, als sonstwo. Soll ich da mal rein ?


    Um meine Zweifel etwas zu veranschaulichen, eine kurze Beschreibung der örtlichen Gegebenheit.


    Steiler Hang.
    Von einem Waldweg rundum gesäumt.
    Am Wegrand Mannshoch Springkraut
    Dahinter ein tiefer Graben, gefüllt mit vermodertem Geäst der alten Eichen
    Dann ein Streifen mit Farn und Brombeeren
    Es folgen niedrige Bestände mit Tollkirschen und ein paar selbstgesäten Jungfichten die mit abgestorbenen Brombeerranken durchzogen.


    Gesamte Breite ca. 10 Meter, soweit einsehbar.


    Was dahinter ist, weiß niemand.


    Wie gesagt, die Verzweiflung......


    Entschlossen durch das Springkraut wühlend, versuche ich den Graben zu erkenen.


    Gefunden.....


    jedoch nicht mit den Augen, sondern mit dem rechten Bein. Vertikalspagat könnte man das nennen.


    Pilzkorb auf den Grabenrand gestellt. Die Hand greift nach irgendwas, an dem man sich hochziehen kann...und findet natürlich eine alte Brombeerranke.
    Eine Alternative wird gesucht und in einem jungen Birkenschößling gefunden.
    Ein bisschen Strampeln, etwas ziehen, etwas Hüpfen. Geschafft.


    Gegen den Pilzkorb getreten, der liegt nun dort, wo ich grad rausgekrochen bin. Klasse !


    Mit einem alten Ast gelingt es mir, den Henkel des Korbes zu angeln. Herausheben möchte ich ihn. Gelingt auch, bleibt nur kurz an irgendwas hängen. Kurz, aber lange genug um in Schräglage zu kommen und dem Pilzmesser die Gelegenheit zu geben dorthin zu fallen, wo zuerst ich, und dann der Korb gelandet sind.
    Hilft nix, ich muss wieder rein in den Graben.
    Rein geht problemlos, die Schwerkraft halt.
    Raus muss ich mich wieder an dem Birkchen ziehen.


    "Ich glaube, ich sollte ein paar Pfunde abnehmen" denke ich mir, als ich mit dem ausgerissenen Birkchen auf dem Rücken im Graben liege.


    Schließlich schaffe ich es dann doch, mit Korb und Messer, den Graben zu überwinden.


    So stehe ich dann am Grabenrand. Die Hacken fast über dem Rand schwebend. Vor der Nase ein Brombeerverhau.


    Da musse durch.


    Das Bein gehoben und langsam die Ranken nach unten getreten.


    Ranken heißen Ranken, weil sie ranken.
    Tritt man unten drauf, ziehen sie sich oben zusammen. Und zwar immer wieder.
    Ranken sind doof.
    Dornenbewehrte ganz besonders.


    Aber auch dieses Hindernis schaffe ich, irgendwie.


    Nun folgt der Farngürtel. Auch sehr dicht, aber kinderleicht zu durchdringen im Vergleich zu den Brombeeren.
    Geht ohne Verletzung.
    Ich mag Farn (noch).


    Das Dickicht lichtet sich und gibt den Blick frei auf einen lockeren Bestand mächtiger Haselnusssträucher. Unzählige Nussstämmchen bilden knapp meterdicke Basen, die sich nach oben hin auf gut fünf, sechs Meter Breite wie ein Baldachin ausbreiten.


    Dazwischen wächst nichts, bildet quasi ein Tunnellabyrinth. Nur gestört von einigen Birkenstämmen, die sich zwischen den Nusssträuchern durchgesetzt haben.


    Dick liegt das Laub auf dem Boden, schwer und feucht.


    Und da, tatsächlich, ein Pfifferling. Richtig schön kräftig. Schmaler Hut und dicker Stiel, fest und saftig. Prima.


    Und dort noch einer, und noch einer...


    So schlängel ich mich durch das halbdunkel des Nussstrauchdschungels.


    Immer wieder mal finde ich Pfifferlinge.


    Keine Massen, aber eine gute Portion kommt zusammen.


    Find ich gut, hab ich mir redlich verdient.


    Doch irgendwie ist es plötzlich noch dunkler als zuvor. Gut, das dichte Blätterdach hält das Licht zurück, aber ich meine es wäre viel dunkler als noch einige Minuten zuvor.


    Nun hör ich auch noch Trommelfeuer.


    Na Prima.


    Ein fettes Gewitter hat sich über mich geschoben. Unsichtbar durch das Blätterdach und daher unbemerkt. Außerdem gehört der Blick beim Pilzesammeln auf den Boden und nicht in den Himmel.


    Die Regenjacke liegt zu Hause, nur mein T-shirt kleidet mich.


    Na und ?


    Hier bin ich recht sicher und werde, dicht an die Basis eines Nussstrauches gedrückt, nicht mal sonderlich nass.


    Es regnet ordentlich. Soll es doch.


    Gut für die Pilze, recht egal für mich, ich bleib hier weitgehend trocken.


    Knapp eine Viertelstunde hocke ich so im Dämmerlicht, pule den einen oder anderen Dorn aus der Hand, dann hört der Regen auf.


    Die erste, ausreichende Pilzmahlzeit der Saison ist im Korb.


    Genug für heute, aber ich komme wieder. Liebäugele in vorauseilenden Gedanken mit dem Kauf einer Machete.


    Doch noch einmal muss ich durch Farn, Brommbeeren und über den Graben.
    Der Weg ist ja schon vorgetreten, sollte also nicht so mühsam sein, wie der Hinweg.


    Ich mag Farn, weil er so leicht zu durchdringen ist, hab ich weiter oben geschrieben.
    Ich reduziere das auf trockenen Farn.


    Nasser Farn ist zwar ebenfalls leicht zu durchdringen, aber eben nass.
    Klatschnass sozusagen.


    Ich bemerke eine gewisse Widersinnigkeit darin, sich eine Viertelstunde lang eng an einen Haselnussstaruch zu drücken um nicht nass zu werden, wenn man danach durch ein paar Meter dichten klatschnassen Farnbestand muss.



    Durch die Brombeeren gehts recht problemlos und auch der Graben wird im ersten Anlauf ohne Schaden überquert.


    Nun erst mal die Klamotten runter und ausgewrungen. Wird wohl keiner kommen und falsche Schlüse ziehen.


    Nein, kommt keiner. So gehts mit quartschenden Schuhen in Richtung Heimat.




    Irgendwie bin ich richtig stolz. Stolz, meinem Pilzgefühl nachgegeben und Recht behalten zu haben. Stolz, den Dschungelkampf ohne bleibenden Schaden überstanden zu haben, Stolz auf meine erste richtige Portion Pfifferlinge dieser Saison.


    Meine Frau hat einen anderen Ausdruck für mein Verhalten, irgendwas in der Richtung " total bekloppt".


    Recht hat sie, aber positiv bekloppt meine ich.


    Die Pfifferlinge fand sie übrigens sehr lecker.

  • Hallo, Ralf,


    ich hoffe, Du verübelst mir nicht, mich ausgesprochen amüsiert zu haben über den hervorragend geschriebenen Bericht Deiner "Verzweiflungstat". ;)


    Ich wette, die Pfifferlinge sind die besten, die Du je gegessen hast - so, wie Du gekämpft hast gegen all die borstigen, dornigen und pitschnassen Widersacher und Fallensteller...


    Danke für Deine Geschichte.
    Und gern mehr davon - wenn ich Dir aber natürlich gönne, dass die nächsten Pilze es Dir nicht mehr gar so schwer machen und sich weniger gut verstecken. ;)


    Pilzkäppchen

  • Hab mich gerade schlapp gelacht über diese amüsante Pilzsuche:D
    Ist doch schon erstaunlich was man nicht alles aufsich nimmt um an die leckeren Pilze zu kommen;)


    Wünsche noch eine gute Pilzernte:)

  • Hey Ralf,
    KLASSE dein Beitrag ich sitz hier mit tränenden Augen vorm Laptop und krieg mich einfach nicht unter.
    Super beschrieben,
    Danke
    ps. Bewerb dich doch mal fürs Dschungelcamp, würdest es sicher gewinnen:D


    mfg Marco