An den VORSICHT-LEUTE-ICH-BIN-SEHR-WICHTIG-PSV
Die Selbstbenennung "Notorische Spaßbremse" ist ja schon mal arg untertrieben. Nun ja, jedem sein selbstgewähltes Image und Plaisir.
Vielleicht aber solltest du zunächst einmal den von dir indizierten Beitrag wörtlich und inhaltlich zur Kenntnis nehmen.
Dort wurde aus der Erfahrung persönlicher Praxis geschrieben - inkl. Hinweis auf angebliche Giftigkeit bzw. Unverträglichkeit des diskutierten Kandidaten. In 50 Jahren habe ich noch nie gehört oder gelesen, dass der Konsum von wie erwähnt zubereiteten Proben (jedenfalls solcher Speisepilze, die im Rohzustand nicht außerordentliche Giftgehalte aufweisen) im Mengenbereich eines Esslöffels bei einem normalgesunden homo sapiens zu irgendwelchen Beschwerden geführt hätte. Hingegen neigen je nach Alter und Konstitution statistisch 8-10 Prozent der Bevölkerung zu allergischen, gastroenterologischen u.a. klinischen Empfindlichkeiten aufgrund Genuss von Pilzen im Allgemeinen u. Speziellen - und hierbei wird wohlgemerkt! en gros von hinreichend gegarten Pilzen ausgegangen. Ich selbst leide unter einer Unverträglichkeit gegen Maronenröhrlinge - während alle anderen Mitesser wohlig gesättigt oder selig eingeschlafen sind, kämpfe ich manches Mal mit Komplettentleerung, Kreislaufkollapsen und heftigen Fieberschüben. Bei Besuchen und Gesprächen mit Medizinern, die u.a. derartige Phänomene erforschen, habe ich erfahren, dass mit deutlich zunehmender Tendenz Aversionen/Allergien insbesondere gg. Wildpilze diagnostiziert werden. Ich für meinen Teil interpretiere das als ein weiteres Indiz für die fortschreitende menschliche Entfremdung und Degeneration von etwas, dem wir vor vielleicht 500.000 Jahren noch zugehörten - und irgendwann einmal von uns Natur genannt wurde.
Doch nun zu deinen "notorisch spassbremsenden" oder - ich trage auch das mal in die Breite - häufig geschmacksvernichtenden mindestens(!!)15 Garminuten: Jeder hier, der mit Pilzen und deren Genuss aufgewachsen ist, weiß gut, dass eben diese Vorgabe reiner VORSICHT-LEUTE-EXTREM-WICHTIG-PSV-ALIBIALARM ist - absolut analog den Mindesthaltbarkeitsausweisvorschriften auf den Produkten aus unseren Discountern und Supermärken. Mykokulinarik lässt sich nicht auf eine Mindestgarzeit herunterbrechen. Bei der Speisezubereitung von und mit Pilzen sind die Zutaten, also Pilzmenge und inwiefern man Frisch-, Trocken- oder gefrostete Pilze verwendet - andere Beigaben wie Zwiebeln, Knoblauch, Gemüse oder Fleisch, die Zugabe von Säure, Salz oder Alkohol, diverse Methoden/Vorbereitung/Weiterverarbeitung, Niedrighitze/Rest- bzw. Nachhitze und anderes ebenso wesentlich und nicht selten entscheidender. Selbstverständlich achte auch ich bei bestimmten Pilzen inklusive ausdrücklicher vorheriger Nachfrage bei evtl. pilzempfindlichen Mitessern äußerst gewissenhaft auf beste Verträglichkeit. Das führt aber mitnichten dazu, dass ich allen meinen Gästen 15-20 Minuten lang(!!!) mausetotgebratene Maronen zumute, nur weil ich selbst eine Magendarmkrise befürchte.
Und vielleicht noch ein wenig Küchenlatein "in die Breite" - möglicherweise lernt so mancher PSV dabei ja auch noch etwas
Garen - auch von Pilzen - erreicht man nicht notwendigerweise oder ausschließlich durch Hitze. Weitere Garmethoden zur bestmöglichen Verdaulichkeit - auch bei vielen Pilzen - sind z.B. Fermentieren, Salzen und Marinieren - also wie in meinem vom VORSICHT-LEUTE-WICHTIG-PSV indizierten Beitrag erwähnt: Dabei sind die biochemisch entscheidenden Faktoren Säure und Salz, auch - jedoch in geringerem - Maße Öl und Zucker. Insbesondere Säure und Salz tragen zum Um- bzw. Abbau von schwer verdaulichen Pilzbausteinen wie Chitin, aber auch von Proteinen bei, übrigens je nach Marinadezeit(!!) sowie je nach Pilzart nicht selten effektiver als übermäßig-endlose und aromazermalmende Hitze.
PS.
Natürlich gibt es auch Notwendigkeiten für längere Hitzeeinwirkung. Die haben zumindest bei mir jedoch rein kulinarische Gründe. Wenn ich bspw. einen zünftigen Pfifferlingsrahm zubereite, dann braucht dieser ein bis zwei Stunden. Aber auch hierbei ist "Hitze" eine relative Größe: Der weißweinlastige Rahm wird nämlich bei 75-80 Grad niedrigsttemperaturgeköchelt und dabei um mehr als die Hälfte reduziert - wobei die Pfifferlinge (oder/und andere Kandidaten) weil nur sanft pochiert, eine optimale Konsistenz be-/erhalten und ihr Aroma perfekt an den Weinrahm transferiert haben.
Lasst uns den Pilzen huldigen, indem wir sie in erster Linie respektvoll bestaunen, also einfach dort lassen, wo sie sind, wenn wir nicht wissen was wir mit ihnen Sinnvolles anstellen sollen. Lasst sie uns sodann vor Allem behutsam zubereiten, um sie - die Pilze nämlich - uns wirklich und wahrlich schmecken zu lassen... Und an dieser Stelle kann ich mich mikromeister vollumfänglichst anschließen - präziser ist die Einfältigkeit landläufiger Pilzverwertung nämlich nicht auf den Punkt zu bringen: "In Butter angebratener Speck mit Pfeffer schmeckt tatsächlich super, macht in entsprechender Menge allerdings auch aus Pappkarton ein genießbares Gericht."
Abschließend nachträglich der forumsordnungsgemäße Disclaimer:
Wenn ich rohe, aufgrund von Marinadegarung zubereitete Pilze (wie in meinem Beitrag weiter oben beschrieben) in Grammportionen zur Geschmacksprobe zu mir nehme, tue ich das selbstredend zunächst für mich allein, ausschließlich auf eigene Verantwortung. Aus einer diesbezüglichen Mitteilung folgt selbstverständlich keine Verzehr- oder Rezeptempfehlung an die restliche Menschheit.
Meine Oma dazumal und nach ihr wohl immer noch unzählige Hallimaschköche sieden denselben bevor sie ihn wie auch immer verwerten 15-30 Minuten in sprudelndem Wasser, welches anschließend in den Abfluss gelangt, weil es, wie irgendwer mal sagte, tendenziell giftig sei. Oft genug habe ich das genauso gemacht wie meine Oma. Bis ich dieses Vorher-Abkochen weggelassen und festgestellt habe, wie viele tolle Aromen und Röststoffe der Hallimasch zustande bringt, welche sich nun in einem für mich und meine Lieben beschwerdefrei genießbaren Pilzgericht befanden und nicht mehr im Gully. Nein, auch dies ist keine Rezept- und Verzehrempfehlung, obwohl ich heute eigentlich nur noch Leute kenne, die Hallimasch nicht vorabkochen - sondern in einem Gang reichlich erhitzen - und noch nie Vergiftungssymptome hatten.
Und auch wenn viele Menschen aus meinem Familien- und Bekanntenkreis mir folgend den einen oder anderen mit dem dringlichen "Mindestens-15-Minuten-bei-mindestens-95-Grad-Abkoch-Verdikt" ausgewiesenen, roh marinierten Pilz - wie ich - auf eigene Verantwortung und ebenso folgenlos probiert haben, würde ich hiervon mitnichten auf die Allgemeinheit schließen.
Wer sich und seine gesundheitliche Konstitution nicht kennt, sollte aus welchem Grund oder auf welche Art auch immer nicht hinreichend gegarte insb. Wildspeisepilze eher nicht probieren - zumindest sich nicht einverleiben. Heißt: wie bei der Bestimmung von vielen Pilzarten notwendig, ein kleines Stück zwischen vorderer Zahnreihe und Zunge schmecken, um anschließend alles restlos auszuspucken. Wer beabsichtigt durch Marinade gegarte Pilze zu verspeisen, sollte das als unerfahrener Pilzkonsument nur mit Arten vornehmen, welche von mindestens 89% sämtlicher amtlich vereidigten PSV aktuell, d.h. binnen der vergangenen 24 Monate bis dato, als roh beschwerdefrei genießbar klassifiziert werden.
Und allen, die sich mit Pilzen ordentlich auskennen, die demnach möglichst sämtliche gesundheitsgefährdend wie auch lethal toxischen Pilzarten zu bestimmen wissen sowie diese von den meisten essbaren bis köstlichen Arten tatsächlich unterscheiden können: Viel Vergnügen beim Experimentieren und Entdecken in der Welt des eigentlichen Pilzaromas.