Hallo Christoph, in fast allem gebe ich dir recht. Aber deinem Anspruch wollen oder können vermutlich die wenigsten Menschen gerecht werden: "Bestimmungsversuche sollte man erst nur bei Kollektionen von jung bis alt und mit Sporenabwurf (Farbe!) machen - und sich da zuahuse mal mehrere Stunden Zeit nehmen, die Kollektion beschreiben, alle Merkmale sichten, dann erstmal versuchen, eine Habitusgruppe zu finden, in die der Pilz passen könnte, dann eine Gattung... und vielleicht(!) sogar die Art." Das ist der wissenschaftliche Anspruch und dürfte leider den meisten, die hier ihre Anfragen stellen, die Lust auf Pilze verhageln.
Liebe Claudia,
ich hätte vielleicht etwas weiter ausholen sollen. Nein, mir geht es nicht um Wissenschaftlichkeit. Ich versuche es mal so zusammenzufassen:
Zwei Wege der Pilzbestimmung / des Erlernens von Pilzarten
Weg 1 (der häufigste): man bekommt vom Großvater / der Großmutter, Freunden, Pilzexperten (etc.) wenige, leicht kenntliche und sehr sicher sammelbare Speisepilze gezeigt. Zum Beispiel "den Steinpilz" oder "den Parasol". Man lernt diese Arten(aggregate) kennen und kann sie nun sammeln und in die Pfanne hauen.
So haben wohl die meisten - auch ich natürlich - angefangen. Dabei geht es aber nicht darum, unbekannte Pilze zu bestimmen. Man muss sich nichtmal sonderlich für Pilze interessieren, wenn es nur um die Pfanne geht. Meist entwickelt sich dann aber ein Interesse, zum Beispiel weil man mehr Arten essen will (um nicht so oft leer auszugehen beim Suchen). Hier sucht man aber eben gezielt bestimmte, wenige Arten und will keine unbekannten Pilze plötzlich bestimmen.
Weg 2: man möchte gerne in der Lage sein, zumindest ab und zu unbekannte Pilze zu bestimmen. Dem steht die unglaubliche Artenvielfalt entgegen, der Einstieg ist schwierig.
Und jetzt kommt das, was ich eigentlich meinte: Wenn ein Einstieger z. B. autodidaktisch unbekannte Pilze bestimmen will, soll er dann am besten die Stielbasis vorher abschneiden und wegwerfen, dann kuiz von oben und unten schnell die Farben anschauen, um dann im Buch zu blättern? dabei natürlich junge Fruchtkörper nicht anschauen, sondern nur einen alten nehmen?
Du würdest natürlich sagen, dass das so nicht geht... Gerade als Anfänger sollte man doch alle Merkmale, die erkennbar sind, nutzen, um so eine Art zu bestimmen. Es ist doch "schlimm genug", dass es sehr merkmalsarme Pilze gibt - zum Beispiel weiße Trichterlinge. Soll man sich, um es "leichter zu haben", auch bei merkmalsreichen Pilzen die meisten Merkmale nicht anschauen? Kann man machen, aber wird man dann Bestimmungserfolg haben?
Mir ist es immer wieder ein Rätsel, warum so wenige Sporenpulverfarben anschauen. Versuch mal einen Täubling ohne bestimmen zu wollen. Und dann noch als Anfänger... Mit der Sporenpulverfarbe kann man direkt viele der Gattung ausschließen - und das ist das richtige Vorgehen bei der Bestimmung. Differentialmerkmale kennenzulernen, zu prüfen und anzuwenden.
Natürlich geht es einfacher - man macht ein paar Fotos und stellt sie hier ein. Dann wird ein Experte sich schon erbarmen und mit etwas Glück hat man einen Namen. Nur was macht man mit dem Namen? Nur, wenn man sich dann die Mühe macht, mit dem Namen im Gepäck wiederum möglichst alle Merkmale zu prüfen, im Buch gegenzulesen, kritisch rückzufragen, der wird sich merken können, wie man den zum Namen gehörigen Pilz erkennen kann.
Richtig ist dabei vor allem, erstmal Formgruppen und/oder Gattungen zu erlernen - es sei denn, man will eigentlich nicht bestimmen, sondern lieber bestimmen lassen...
Ich frage mich oft, wie es sein kann, dass ein Schleierling (wie heute im Forum geschehen) vollreif mit Cortina und massenweise rostfarbenem Sporenpulver ins Forum eingestellt werden kann mit der Frage, ob es Rötelritterlinge sind. Das bedeutet ja eigentlich nur, dass der Threadersteller kein Pilzbuch hat, mal kurz im Netz gegooglet hat und Farbvergleich mit Pilzfotos im Netz gemacht hat und dan liest "essbar". Mit dem Erlernenwollen von Pilzen hat das aber wenig bis nichts zu tun.
Wer aber wirklich lernen möchte, Pilze zu bestimmen, dem kann ich nur abraten, mit dem Buch in den Wald zu gehen. Ich kann dann nur dazu raten, wenige Kollektionen mitzunehmen, dafür aber von jung bis alt (oder soll wie gesagt gerade der Anfänger mit dem Schwierigsten anfangen? Pilzbestimmung anhand eines untypischen Einzelfruchtkörpers?).
Wer die Gattung der Knollis kennenlernen willl, sollte mal Fliegenpilze (weil die ja jeder kennt) als Kollektion mitnehmen, dann die Merkmale beschreiben und dann mit Büchern abgleichen. Das dauert, aber danach weiß man, was mit Gesamthülle gemeint ist und dass die beim Fliegenpilz sowohl am Hut als auch an der Stielbasis zu finden sind. Und man wird dann nach Regenwetter automatisch an der Stielbasis suchen und die nicht wegschneiden, bevor man bestimmen will.
Wir reden von der Hoffnung, unbekannte Pilze unter über 10.000 Arten zuhause bestimmen zu wollen. Mit dem Buch im Wald geht das nicht oder nur sehr selten - bei Arten für Weg 1. Aber da will man keine Unbekannten bestimmen, sondern nur ausgewählte Arten kennenlernen.
Die Apps suggerieren, dass es eben möglich ist, unbekannte Pilze leicht zu bestimmen. Das macht sie so gefährlich in der Hand von Anfängern.
Wer aber nicht wirklich unbekannte Pilze eingrenzen will, selber die Gattung herausbekommen will, der muss halt damit leben, sehr vieles nicht bestimmen zu können. Wer aber echtes Interesse hat und sich reinknien will, der muss eben Mühe und Zeit investieren, unter den Tausenden von Pilzen einen Überblick zu erhalten. Und da zählt jedes Merkmal.
Wenn ich dann als scherzhafte Bemerkung lese, dass außer mir wohl keiner Sporenpulverfarbe von Macrolepioten prüft, dann schmunzle ich, hoffe, dass dem nicht so ist... aber ich sehe auch, dass viele, die hier Macrolepioten einstellen und dann Namen nennen, gar kein echtes Interesse daran haben, wirklich sauber die Art zu bestimmen. Wenn der Sporenabwurf zu viel ist, dann muss man andere Gattungen wählen. Bei Täublingen ist es selbstverständlich, anderswo soll man aber keine weiteren Merkmale nutzen?
Nur geht es hier darum, bereits die Gattung zu kennen - und dann, ob man sich Mühe geben will oder nicht.
Wozu nutzt man das Mikroskop? Um weitere Merkmale zu finden, die das Bestimmen absichern. Da hat man dann richtig viel Aufwand, um noch mehr Ausschlussmerkmale zu finden oder Positivmerkmale. Es ist immer das selbe Prinzip. Wer z. B. Fälblinge bestimmen will, aber nur die Sporen anschauen will und nicht zig Cystiden vermessen und Quotienten berechnen, der wird halt nicht bestimmen können. Oder die Namen sind geraten.
Und wer die Chance nicht nutzen will, möglichst viele Makromerkmale zu nutzen, wird die Chance verspielen, Pilze makroskopisch bestimmen oder nur eingrenzen zu können. Und dazu gehört das Kennenlernen von Merkmalen. Und dazu gehört auch das eigene Beschreiben von Pilzen.
Wie bei allen Hobbys: man muss nur entscheiden, wie viel man investiert (an Zeit und Geld). Nur muss man, wenn man sich nicht einkniet, eben abschminken, in dem Hobby gut zu sein. Ob das Sport ist (da muss man trainieren), Ornithologie (da muss man teils auch auf sehr viele kleine Details achten, da man nicht immer alle Merkmale beim fliegenden Vogel sehen kann) oder Pilzkunde... oder was auch immer - bei den Pilzen treffe ich nur sehr oft sehr hohen Anspruch ("den Namen will ich wissen, ich bestimm den jetzt"), aber oft wenig Lust, dafür auch viel Zeit zu investieren. Nicht nur im Netz, auch bei Pilzvereinen... ist ja alles nicht schlimm, nur muss man dann ehrlich sein und eben vom Bestimmen absehen und eher wieder Weg 1 gehen. Oder einen Mittelweg - ein paar Gattungen erklärt bekommen und da dann, wenn nicht zu groß und die Gattung leicht kenntlich, mit wenig Zeiteinsatz rangehen.
Oder man bewundert Pilze ob ihrer Schönheit auch ohne Namen vergeben zu wollen/können.
Das ist alles nicht böse gemeint - ich fände es nur unlogisch, von vornherein abzuraten, sich intensiv mit einem Thema zu beschäftige, wenn man sich wirklich dafür interessiert. Wissenschaft ist dann ein Schritt weiter - nicht nur Bestimmung, sondern neues Wissen zu schaffen. Aber das ist ein anderes Thema ;-).
Liebe Grüße,
Christoph