Oh hier kann ich auch mal mit Fachwissen glänzen
Um den Fliegenpilz ranken sich viele Mythen, das fängt ja schon beim Namen an. Manche betrachten die praktische Anwendung als Fliegenfänger für den Ursprung, andere die Fliege als Symbolbild des Wahnsinns und ich habe auch schon die Behauptung gehört, dass Konsumenten glauben sie können im Rauschzustand fliegen - das ist natürlich vollkommener Schwachsinn. Ich selbst habe knapp 40 halluzinogene Substanzen konsumiert und bei meinen gut 200 Reisen nie das Gefühl oder Bedürfnis gehabt zu fliegen. Was sehr wohl leider einmal vorkam, war eine psychische Krise einer Mitreisenden, welche daraufhin stark suizidal wurde und sich tatsächlich von einer Klippe werfen wollte. Gottseidank konnten wir das aber verhindern.
Der Fliegenpilz enthält roh vor allem Ibotensäure und einen geringen Anteil Muskarin (woher der Fliegenpilz auch seinen wissenschaftlichen Namen hat). Durch Trocknung decarboxylisiert die Ibotensäure zum deutlich weniger toxischen und stärker psychoaktivem Muscimol, welches hauptsächlich seine Wirkung als Agonist am GABA a - Rezeptor entfaltet und damit eigentlich einen ähnlichen Wirkmechanismus wie Alkohol oder Benzodiazepine besitzt. Muskarin hingegen ist ein Agonist an den Acetylcholinrezeptoren, genauer gesagt am muskarinischen Acetylcholinrezeptor, der andere ist der nicotinische Acetylcholinrezeptor.
Der Fliegenpilz ist ein Halluzinogen, welche sich grob in drei Kategorien einteilen lassen:
Psychedelika wie LSD oder Psilocybin, welche hauptsächlich als (Partial)Agonist am 5HT2a-Rezeptor binden
Dissoziativa wie Ketamin oder PCP, welche hauptsächlich als Antagonisten am NMDA Rezeptor binden
Delirantia wie die Atropinderivate, wie sie in bspw. Engelstrompeten oder Bilsenkraut vorkommen oder auch DPH und hauptsächlich als Antagonisten an den Acetylcholinrezeptoren binden.
Somit passt der Fliegenpilz nicht wirklich in das Schema und stellt eher eine Sonderrolle da, wird aufgrund seiner Wirkung aber oft zu den Delirantia gezählt, was streng genommen aber nicht wirklich richtig ist.
Der Fliegenpilz wirkt in geringer Dosierung anregend, nicht aber aufputschend und sorgt für einen tiefen sehr traumreichen Schlaf. In höheren Dosen wechseln sich Phasen der Erregung mit Phasen komatömer Wachzustände und sehr intensiven Träumen ab. Dabei wird die Fähigkeit des räumlichen Sehens stark herabgesetzt, die Umgebung kann so bspw. zweidimensional wirken, Größen werden komplett falsch eingeschätzt und kleine Gegenstände können so riesig erscheinen und umgekehrt. Der Farbkontrast ist deutlich hochgesetzt und es kann ein buntes Schimmern an den Konturen der Objekte auftreten. Bei einer normalen Rauschdosis ist der Konsument sich meistens noch seines Rauschzustandes bewusst, ab höheren Dosierungen kann dies aber nicht mehr der Fall sein und es können Tobsuchtanfälle und Halluzinationen auftreten. Der Geisteszustand ist über die Gesamte Reise sehr sprunghaft und verwirrt, es treten aber keine tiefen psychologischen Introspektionen wie etwa bei LSD oder Psilocybin auf. Wie es sich für eine GABA-erge Substanz gehört, verursacht auch der Fliegenpilz einen mehr oder weniger starken Kater.
Aufgrund seiner unberechenbaren Wirkweise kann ich mir nicht vorstellen, dass der Fliegenpilz unmittelbar die berserkerhaften Zustände ausgelöst haben soll. Nicht dass die guten Krieger plötzlich vor sich hin kichernd auf dem Schlachtfeld einschlafen. Lediglich könnte ich mir vorstellen, dass eine deutlich geringere Dosis die Sinne schärfen und anregend wirken sollte, also eine Art Microdosing mit dem Fliegenpilz.
Dann stellt sich mir noch eine ganz andere Frage: Von den Schamanen wurde und wird teilweise heute noch der Fliegenpilz zu "Reisen" benutzt. Der Fliegenpilz ist dabei eine recht harmlose Droge die da von den Schamanen eingenommen wird und auch weitestgehend kurze Zeit später wieder aus dem Körper ausgeschieden wird. Es gibt Menschen die meinen, dass eben deswegen die Schamanen diesen Pilz wählten und eher eine "Vorstellung" gaben.
Muscimol wird fast vollständig wieder vom Körper ausgeschieden, somit ist es möglich einfach den Urin des Schamenen zu trinken. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies einmal gängige Praxis war. Da Fliegenpilze einen extrem schwankenden Wirkstoffgehalt besitzen, konnte der Schamane so die optimale Dosis für jeden Reisenden auswählen.
Allerdings möchte ich hier noch anmerken, dass die meisten Halluzinogene in Rauschdosen zwar selten toxisch wirken (ausgenommen der Nachtschattengewächse) und so physisch betrachtet zu den eher harmloseren Drogen gehören, die psychologische Komponente ist aber absolut nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und kann sehr gefährlich werden. Sie können vollkommen gefestigte Menschen plötzlich in tiefe Depressionen schicken und umgekehrt, Psychosen triggern oder längst behandelte oder verdrängte Probleme wieder sehr präsent werden lassen. Zumindest abhängig wird man vom Fliegenpilz wohl eher nicht.
Dies glaube ich nicht wirklich aber dies brachte mich auf einen ganz anderen Gedanken und dies wiederum ist meines Erachtens noch nie untersucht worden - die gemeinschaftlich psychologische Wirkung unter Hilfenahme des Fliegenpilzes. Der Fliegenpilz hat zweifelsohne verschiedene Substanzen die eine bewusstseinsverändernde Wirkung haben. Wenn wir nun von Berserkertum sprechen, dann hat dies ja im weitesten Sinne mit Krieg zu tun. Ich denke, dass vorher bestimmt "Rituale" stattfanden um sich gegenseitig Mut zu machen, sich gegenseitig die Unschlagbarkeit zu versichern und so weiter.
Im Gegensatz zu den meisten Psychedelika, liefert der Fliegenpilz keine wirklichen psychologischen Erkenntnisse. Die Reise an sich ist wild und verrückt, aber man "lernt" nicht viel aus ihr. Dennoch denke ich auch, dass ein Gruppenritual den Mut innerhalb der Gruppe steigern könnte. Der Rausch ist hier dann aber eher Mittel zum Zweck als wirklich das Kernelement. Das sind aber auch nur Vermutungen, diesen Winter besuche ich einen Freund in Sibirien und ggf. nehmen wir sogar tatsächlich an einer Zeremonie teil, dann werde ich berichten.
Dieser Tage einen Artikel gelesen (weiss nicht mehr wo) , welcher die Berseker eher dem Bilsenkraut zugeschrieben haben.
Möglich wäre ja auch eine Kombination beider ??
Das Bilsenkraut enthält Hyoscyamin und Scopolamin in stark schwankenden Dosen. Ich habe öfter mal gelesen, dass der Wirkstoff in den Samen wohl berechenbarer sein soll. In Rauschdosen wirken beide Substanzen aber schon stark toxisch und können zum Herzstillstand führen, außerdem knipsen diese Substanzen einem vollkommen den Verstand aus. Das FBI hat eine Zeit lang mit Scopolamin als Wahrheitsserum geforscht, allerdings lassen sich Gehirnamputierte nicht gut befragen. Wirklich vorstellen kann ich mir das also nicht, eine Kombi aus Pilz und Kraut noch weniger.
Einen Bericht über die Unberechenbarkeit von Nachtschattengewächsen habe ich auch noch.
viewtopic.php?t=33375
Wer an der Neurochemie diverser Naturstoffe interessiert ist, dem kann ich diese Seite empfehlen. Die meisten Artikel sind mit sehr interessanten wissenschaftlichen Quellen versehen.
https://psychonautwiki.org/wiki/amanita_muscaria_(mycology)