Liebe Foristen,
ich bin der Meinung, dass man zur kulinarischen Verwendung des Pfefferröhrlings Experten zu Rate ziehen sollte.
Das sind meiner Meinung nach aber nicht Mykologen, sondern Köche.
Deshalb fand ich es sehr interessant, dass ich bei der Suche nach der Wahrheit über die kulinarische Verwendbarkeit des Pfefferröhrlings auf einer englischen Internetseite auf den Hinweis stieß, dass Carluccio ihn empfohlen habe.
Wer das war, kann man auf dieser Internetseite nachsehen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Antonio_Carluccio#:~:text=Antonio%20Carluccio%2C%20OBE%2C%20(*%2019,ansässiger%20italienischer%20Koch%20und%20Autor.
Herr Carluccio veröffentlichte nicht nur Kochbücher, er betrieb eine Restaurantkette.
In einem dieser Restaurants in London habe ich vor vielen Jahren einmal gegessen. Bevor man bestellen durfte, klärte der Kellner den Besucher zunächst einmal über die Philosophie der Carluccio Restaurants auf.
Danach fragte er, ob man immer noch dasselbe bestellen wolle, wie man vor hatte.
Antonio Carluccio veröffentlichte Kochbücher, mindestens ein Buch zum Kochen mit Pilzen, sowie mindestens ein Pilzbuch, indem für jede besprochene Pilzart auf die kulinarische Verwendbarkeit eingegangen wird.
Leider finde ich keines dieser Bücher digital im Internet und ich finde keines dieser Bücher im Verzeichnis der lieferbaren Bücher.
Ich war also darauf angewiesen, mir die Bücher antiquarisch zu besorgen.
Als erstes erwarb ich:
Pilze und Trüffel von Antonio und Priscilla Carluccio erschienen 1999 im Heyne Verlag:
Im Vorwort macht er neben der Warnung vor Giftpilzen und dem Hinweis auf die Tatsache, dass der Titel eigentlich ein Pleonasmus ist, einen Vorschlag zur Zubereitung von Pilzen vor dem Einfrieren:
Dünsten der Pilze mit sehr viel Butter und Zwiebeln.
Er schreibt dann weiter:
Die große Menge Butter schützt und konserviert die Pilze und ist später schön aromatisiert, so dass sie sich nach dem Auftauen gut für andere Gerichte verwenden lässt.
Abgesehen davon, dass ich wegen des holprigen Deutschs gerne den Text in der Originalsprache hätte, zeigt das deutlich, dass er offenbar der Meinung ist, dass das Dünsten in Butter Einfluss auf das spätere Aroma hat.
Leider findet man im Buch aber nichts zum Pfefferröhrling.
Also das nächste Buch antiquarisch besorgen:
Complete Mushroom Book - the quiet hunt Antonio Carluccio 2003 Quadrille Publishing Limited Reprint 2010
Da steht zum Pfefferröhrling:
Boletus piperatus (Syn. Chalciporus piperatus )
This bolete, ..., is actually edible, but I think it should only be used in tandem with other mushrooms, to lend a peppery flavour (in many countries it is actually used as a condiment). The taste is really rather sharp, and it should always be cooked.
Übersetzungsversuch:
Dieser Bolet ist tatsächlich essbar, aber ich denke, er sollte nur zusammen mit anderen Pilzen verwendet werden, um diesen ein pfeffriges Aroma zu verleihen (in vielen Ländern wird es tatsächlich als "condiment" verwendet). Der Geschmack ist wirklich sehr scharf und er sollte immer zubereitet werden.
Hier gibt es ein Übersetzungsproblem:
"condiment" wird im Internet gerne mit Gewürz übersetzt. Gewürz heißt aber auf Englisch spice.
Meriam Webster sagt: "something used to enhance the flavor of food, especially a pungent seasoning"
Hier hilft die französiche Wikipediaseite zum Pfefferröhrling weiter:
"il peut toutefois servir de condiment en brunoise"
Brunoise ist verlinkt:
"brunoise est une garniture de légumes ou de fruits coupés en dés de 2 mm de section"
Genau so war ich bei meinen Versuchen vorgegangen und so hatte ich das auch im Forum beschrieben.
Ich hatte zwar die Quellen damals noch nicht, aber nach der Beschreibung "Verwendung als Gewürz" konnte ich mir das nur so vorstellen.
Nun ist es allgemein beim Kochen sinnvoll, sich an die Vorschriften im Rezept zu halten.
Jemand, der das nicht tut und dann hinterher behauptet, das Rezept wäre falsch, kommt mir vor wie jemand, der mit dem Kopf gegen die Wand rennt und sich dann bitterlich über die Wand beschwert.
Mich interessiert aber nach wie vor, warum die Reingerichtskocher keine Schärfe feststellen konnten.
Es gab hier im Forum den Hinweis, dass ein Auto eines Pilzbuches in seinem Buch schreibe:
"Die Scharfstoffe im Pfefferröhrling sind flüchtig."
Um das zu prüfen, muss man zunächst einmal wissen, welche das denn sind.
Hier wurde ich in
The Alkaloids: Chemistry and Pharmacology
Volume 40
Edited by Arnold Brossi National Institute of Health Bethesda Maryland
Copywright 1991 by Academic Press Inc
fündig, dass es digital über google gibt:
Hier sind zwei scharfe Alkaloide benannt, die im Pfefferröhrling vorkommen:
Chalciporon
norchalciporyl propionate
Es kommen noch zwei weitere verwandte Alkaloide im Pfefferröhrling vor:
Isochalciporon
Dehydroisochalciporon
Diese haben keinen scharfen Geschmack.
Es findet sich noch der Hinweis, dass das scharfe Chalciporon, wenn in Chloroform gelöst, spontan in das nicht scharfe Isochalciporon übergehen kann.
Zu dem, was da genau passiert, gibt es leider keine Hinweise.
Es ist denkbar, dass genau das bei den Sologerichterzeugern beim Garen passiert ist.
Es könnten andere Stoffe da sein, die katalytisch wirken oder andere Stoffe entfernt werden, die als Inhibitoren wirken.
Zurück zur Frage der Flüchtigkeit:
Um das zu prüfen braucht man ein chemisches Datenblatt.
Das finde ich für Chalciporon, aber nicht für norchalciporyl propionate.
Da der Buchautor aber meinte, alle Scharfstoffe seien flüchtig, sollte das reichen.
Hier das Datenblatt:
chalciporone | C16H21NO | ChemSpider
Wie ich aus meinem Römpp weiß, ist Chalciporon ein gelbes Öl.
Laut dem Datenblatt hat es einen Siedepunkt von 494 Grad Celsius und einen Dampfdruck von 0 +-0.9 mm Quecksibersäule bei 25 Grad.
Der Stoff ist darum mit Sicherheit nicht flüchtig.
Es kann sich dann jeder Gedanken darüber machen, welchen Wert ein Buch hat, in dem jemand das behauptet.
Man findet aber einen weiteren interessanten Punkt im Datenblatt:
Flammpunkt 162.8 Grad. Das heißt der Stoff reagiert mit dem Luftsauerstoff unter Flammenbildung.
Er verbrennt also und erzeugt dabei Wärme, die die Reaktion weiter am Laufen hält.
Das heißt, wenn irgendwo in einem Reingericht diese Reaktion anfängt, geht die so lange weiter bis alles verbrannt ist.
Kleingeschnitten und im Mischgericht wird das nicht passieren.
Das Chalciporon wird übrigens auch als relevanter Farbstoff in Pilzen in der Literatur geführt.
Wenn also das Chalciporon verschwindet, sollte man beim Kochen einen Farbumschlag sehen.
Falls ich irgendwann mal wieder Pfefferröhrlinge finde, probiere ich das aus.
Ich denke daran, Experimente zu machen, um meine Annahmen zu verifizieren. Ich muss mir nur noch ein Kochthermometer besorgen.
Gruß,
Marcel