Hallo Sandra,
zu den Dingen, die mir auf ewig unbegreiflich bleiben werden, gehört, warum ein Mensch beim Anblick eines Wildschweins erschrickt.
Erschrickst Du auch beim Anblick eines „Riesen-Grünen-Knollenblätterpilzes“?
Da gilt das Gleiche wie bei Wildschweinen. So lange man nicht versucht, sie zu essen, sind sie ungefährlich.
Die einzigen wirklich gefährlichen Lebewesen in unserer Natur sind die Hunde der Städter.
Ich bin 59 Jahre alt und mache seit gut 40 Jahren drei Mal die Woche Waldläufe.
Ich hatte in dieser Zeit mehrere gefährliche Begegnungen mit Hunden, aber keine mit Wildschweinen, obwohl ich in jedem Monat mindestens eine Wildschweinnahbegegnung habe.
Das Übelste war ein Rotweiler, der mich umwarf und dabei versuchte, mich in der Halsgegend zu beißen. Zum Glück sind Hunde allgemein dumm und Rotweiler zwar sehr schwer, aber unbeweglich.
Nachdem wir beide umgefallen waren und ich dabei den Hals weggedreht hatte, stand ich als Erster wieder und der Rotweiler war noch benommen. Ich habe dann Dominanz gezeigt und bin weiter gelaufen.
Nach solchen Erlebnissen hat man dann natürlich erst einmal Angst, bei jedem Hund, der einem begegnet und mir begegnen da vielleicht bei einem durchschnittlichen Waldlauf 20 Hunde. Man muss das aber aktiv unterdrücken und genau so ist das auch mit den Wildschweinen.
Ich habe da ein Verhaltensrepertoire, das ich bei Hunden an den Tag lege, dass ich im Prinzip bei beliebigen Lebewesen – seinen sie 2 oder 4 beinig - empfehlen kann.
- Ich mache Augen, Ohren auf und gebrauche meine Nase. Überraschende Begegnungen sind ganz schlecht, vor allem wenn sie für beide Teile überraschend sind. Bei Stadthunden kommt es immer wieder vor, dass die mich erst registrieren, wenn ich 2 Meter neben ihnen stehe. Das ist eine sehr gefährliche Situation. In der Natur hat jedes Lebewesen ein typisches Geräusch und insbesondere Wildschweine haben in der Brunft einen sehr typischen Geruch, den man auch noch wahrnimmt, wenn sie vor einer halben Stunde an dieser Stelle waren. Man sollte es trainieren, dass man Tiere an ihrem typischen Bewegungsgeräusch auch erkennt, wenn sie noch 100 Meter entfernt sind. Auch wenn man das Wildschwein nicht sieht oder hört, sieht man vielleicht seine Kothaufen. Im Herbst, wenn die Eicheln fallen, gilt: Wo Eicheln da Wildschweine, auch wenn man sie noch nicht wahrgenommen hat, sie sind da.
- Wenn man nicht sicher ist, dass das Lebewesen einen wahrgenommen hat, macht man sich bemerkbar. Während bei den 2-Beinern in ein Gespräch verwickeln eine erprobte Strategie ist, rate ich bei Hunden und Wildschweinen davon ab. Wenn man Glück hat, haben sie Angst, wenn man Pech hat, werden sie aggressiv. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht geräuschvolle Schritte zu machen – notfalls aus dem Stand. Dabei nimmt man eine Körperhaltung ein, die von dem Tier nicht als aggressiv empfunden wird. Auf den Boden legen und mit irgendwelchen Objekten auf sie zielen ist ganz schlecht. Panisch erschreckte Körperhaltung noch schlimmer. Ich laufe immer wieder an Hunden vorbei, deren Besitzer sich darüber wundern, dass Ihr Hund, der sonst bei Läufern macht wie's Messer, bei mir so ruhig bleibt. Meine Körperhaltung suggeriert: Ich tu dir nichts, ich könnte aber, wenn ich wollte.
- Wenn ich mich dem Tier annähere, was ich erst sollte, wenn ich sicher bin, des es mich auch wahrgenommen hat, ignoriere ich es beim Vorbeilaufen völlig. Ich schaue nicht starr in seine Richtung.
- Bei Hunden kann man zum Schluss noch ein freundliches Wort sagen, bei Wildschweinen würde ich das lassen.
Bei Wildschweinen ist die Angelegenheit viel einfacher, weil das sehr intelligente Tiere sind. Es ist nur Folgendes zu beachten:
Sobald man ein Wildschweinkind sieht oder hört oder seine Mutter nach ihren Kindern rufen hört, bleibt man sofort ruhig, aber bestimmt stehen.
Wenn die Wildschweinmutter ihre Kinder ruft, ist das ein sehr geräuschvolles Einatmen. Leider hören die Wildschweinkinder nur recht langsam, wenn Mutter ruft. Wenn es da was Interessantes gibt, kann Mutter lange rufen, bis das Kind zu ihr läuft.
Hier noch ein paar meiner privaten Wildschweinerlebnisse:
Ich laufe im Großraum Frankfurt im Dunkeln durch den Wald. Im Dunkeln laufe ich auf breiten Wegen, die ich auch im Hellen kenne. Plötzlich quiekt vor mir ein Jungschwein ängstlich. Ich bleibe sofort stehen. Da links und rechts des Weges Gräben sind, kann ich nirgendwohin ausweichen. Nach der Geräuschlage rennen jetzt ungefähr 200 Schweine vor mir links und rechts vom Weg weg. Man hat den Eindruck der Wald wird abgerissen. Nachdem sich das Ganze beruhigt hat, hört man ältere Schweine beruhigend auf die Schweinekinder einreden. Hört sich so an wie „Macht da mal keinen solchen Terz, das ist ein Läufer, die sind harmlos“. Das hört dann irgendwann auf und ich laufe unbehelligt weiter.
Ich bin in meinem Pfifferlings- und Steinpilzrevier. Vor mir kreuzt eine kapitale Muttersau mit ihren Kindern den Weg. Ich bleibe stehen. Die Muttersau hat ungefähr mein 2.5-faches Körpergewicht. Das ist ungefährlich. Eine erfahrene Sau, die kennt mich vermutlich schon. Leider haben die Menschen den Weg verbreitet, was zu sehr steilen Böschungen führt. Mutter Sau steigt trotz Ihres Gewichts elegant die Böschung hoch, die Kinder trauen sich nicht. Mutter Sau kuckt von oben noch mal zurück und geht weiter. Die Kinder stecken die Köpfe zusammen, bis ein mutiges den Anfang macht und der Mutter folgt. Die anderen folgen. Ich gehe weiter. Plötzlich höre ich, dass da auf der anderen Seite des Weges noch ein Wildschweinkind ist. Es flüchtet von der Mutter weg. Ich hatte Gewissensbisse, dass ich das Kleine von seiner Mutter getrennt habe. Einige Wochen später sah ich dann aber ein Schwein, das vom Alter her passen könnte, an derselben Stelle genuss- und geräuschvoll Eicheln verzehren und war beruhigt.
Ich laufe durch den Wald. Als ich um die Kurve laufe, sehe ich, dass hundert Meter vor mir ein Schwein auf dem Weg steht. Ich laufe weiter. Es ist ein Jährling (ein sogenannter „Läufer“). Jetzt sichert das Schwein. Das heißt, es streckt seine Schnute raus, um meinen Geruch zu erfassen. Es bleibt aber stehen. Ich komme so nahe, dass ich es fast anfassen könnte. Es tritt ein wenig an den Rand des Weges, bleibt aber stehen. Wenn ich hinschaue, macht es Scheinfluchten, bleibt aber stehen. Ich schaue nicht hin und laufe weiter. Das Schwein freut sich jetzt wahrscheinlich, dass es die Mutprobe bestanden hat und bleibt auch stehen, nachdem ich vorbei bin. Die Schweine haben in der Nähe eine Suhle, ich sehe da öfter Schweine, aber beim Wandern von Suhle in Dickicht. Wahrscheinlich ist es mir da als kleineres Kind schon mal begegnet. Das Schwein weiß das, wenn es so war.
Gruß,
Marcel