Ich bin Softwareentwicklung und erkenne darum die hinter allen Schlüsseln stehende logische Struktur:
Es ist eine endliche Zustandsmaschine. Englisch: Finit state machine.
Hallo Marcel
Na so ein Zufall - ich bin auch Softwareentwickler. Ich arbeite sogar an einem datenbankbasierten Schlüssel für Pilze.
Naja, für mich als interessierter Laie nicht einfach und fraglich ob das irgendwann gut funktionieren wird. Der Weg das Ziel, ich lerne enorm viel dabei.
Es macht einfach Spass und wird wohl immer ein privates Projekt bleiben.
Ich verfolge drei parallele Ansätze:
- Klassische dichtome Schlüssel, die ich vorläufig irgendwo abkupfere. Da ist zum Beispiel ein kompletter Moser und ein Teil der Funga Nordica drin.
- Synoptische Schlüssel, die mit Wahrscheinlichkeiten auf ausgewählten Merkmalen operieren
- Ein volldynamischer Schlüssel. Der Anwender "beschreibt" seinen Pilz, wobei ihm bis zu 500 (sic !) Merkmale zur Verfügung stehen.
Was der Benutzer beschreibt, wird mit der Datenbank abgeglichen, in der jede Spezies ebenso detailliert beschrieben ist.
Auch hier kommen nur Wahrscheinlichkeiten raus. Dieser Schlüssel braucht einen Anwender, der weiss welche Merkmale bei seinem Pilz wichtig sein könnten.
Aber der Schlüssel gibt immerhin Empfehlungen, bei welchen Merkmalen noch eine gewissen Trennschärfe für die verbleibenden Kandidaten existiert.
Bei jeder Bestimmung kann man mit jeder Variante arbeiten. Mal funktioniert die eine besser, mal die andere, mal gar keine.
Der volldynamische Schlüssel hat den Vorteil, dass es ihm egal ist wenn eine Übereinstimmung unwahrscheinlich ist.
Er braucht nur eine Beschreibung jeder Spezies, die ausreichend präzise ist und keine Spezialfälle auslässt.
Wenn in der Beschreibung der Spezies steht "exzentrisch oder selten zentral gestielt", und der Benutzer wählt bei der Bestimmung "zentral", dann bleibt die Spezies mit 10% Wahrscheinlichkeit als Kandidat stehen. Das wird mit weiteren Merkmalen immer weiter kombiniert.
Die Beschreibungen stelle ich aus etwa 60 neueren Pilzbüchern zusammen (ja, der Bon gehört auch dazu).
Dabei werde ich tagtäglich mit Widersprüchen, Falschinterpretationen, Fehlern und Irrtümern konfrontiert.
Welche endliche Zustandsmaschine kann damit umgehen?
Keine! Das Ganze ist enorm zeitraubend, hochkomplex, nervenaufreibend und ändert sich täglich aufgrund von neuen Publikationen.
Der Nachteil meines dynamischen Schlüssels ist, dass man bei einem Trichterling kaum unter 10 Kandidaten kommt, die man dann einzeln von Hand ausschliessen muss.
Und es kommt regelmässig vor, dass am Ende der beste Kandidat mit 80% Wahrscheinlichkeit nicht passt, dafür aber einer mit 2% Wahrscheinlichkeit.
Aber vermutlich kommt das der Realität näher als der Schlüssel im Bon, der vortäuscht man könne mit 33 stichwortartigen Ziffern auf zwei Seiten alle dargestellten Trichterlinge bestimmen.
Worauf ich hinaus will:
Pilzbestimmung mit Schlüssel lässt sich nicht in ein präzises, logisches System zwingen.
Pilze sind keine Maschinen, die sich in Maschinensteuerung abbilden lassen, sondern lebende Organismen.
Ein Schlüssel im Bon oder Moser erweckt zwar den Anschein einer endlichen Zustandsmaschine, ist aber bei weitem keine.
Es ist lediglich eine endliche, und zwar sehr begrenzte Auswahl der häufigsten/typischen Zustände.
Wie Christoph schon schreibt: Es gibt gewisse harte Merkmale, man wird hoffentlich nie einen Ritterling mit stacheligem Hymenophor finden.
Aber sehr viele Merkmale sind unpräzise, sprich dahinter steht eine Wahrscheinlichkeit/Häufigkeit und nicht ja oder nein.
Beispiel: Etliche Spezies gibt es in seltenen weissen/pigmentlosen Varianten, die kann kein Schlüssel und kein Buch allesamt berücksichtigen.
In den einem dichtomen Schlüssel muss sich der Autor schlussendlich entscheiden, bis zu welcher (Un)wahrscheinlichkeit er schlüsseln will, und ab wann er eine Ausprägung als so zu "untypisch" für seinen Schlüssel betrachtet. Kein Autor kann jede noch so geringe Wahrscheinlichkeit ausschlüsseln. Am weitesten ging nach meinem Gefühl Gröger mit seinem Schlüssel. Er versuchte möglichst jede erdenkliche Variante und sogar tropische Arten zu berücksichtigen. Der Schlüssel ist dadurch enorm komplex, voller Anmerkungen und Querverweise, und wirkt zu Beginn fast abschreckend. Leider wurde er nicht fertig mit seinem Werk, vielleicht gerade weil er es so perfekt machen wollte...
Dann noch zum Thema Budget: Das verstehe ich schon. Aber mit etwas Geduld findet man z.B. gebrauchte Moser auf eBay, meiner hat 45 Euro gekostet.
Auch die Gröger-Schlüssel finde ich nicht überteuert. Hier im Forum findet man im Marktplatz immer wieder gute Angebote.
Aber ganz ehrlich: Alle erfahrenen Mykologen arbeiten mit den einschlägig bekannten Schlüsselwerken, dabei ist der Bon nicht die erste Wahl.
Wenn man aus Budget-Gründen diese anerkannten Werke nicht nutzt, ist es wenig überraschend wenn die Ergebnisse unbefriedigend sind.
Um sich ernsthaft mit Pilzen zu beschäftigen, kommt man nicht daran vorbei dass das Budget ein wenig belastet wird.
Vor jedem, der sich traut einen Schlüssel zu publizieren, habe ich den grössten Respekt. Ich bin weit davon entfernt.
Gruss Raphael