Hallo Miralu,
hier kommt noch mein Senf zu deiner Frage. Ich fange mal damit an, wie man es nicht machen sollte. Man sollte nicht die gefundenen Pilze durch wildes Hin- und Herblättern im Pilzbuch mit den dort abgebildeten Fotos vergleichen und sich auf einen Ähnlichkeitsvergleich einlassen. So machen es z. B. die zahlreichen Apps, und wie diese kommt man oft auf völlig absurde Bestimmungsergebnisse (z. B. Ritterling für einen Pilz mit braunen Lamellen), aber landet nur selten und dann oft durch Zufall richtig. Wenig Sinn macht es auch, einen Pilz zu fotografieren und das Bild ins Forum zu stellen unter der Überschrift "Wer gibt mir Bestimmungshilfe?" Hierauf melden sich mehr oder weniger gute Auskenner und spekulieren auf Basis deiner Fotos, welcher Pilz es denn sein könnte (machen mit anderen Worten genau diesen Ähnlichkeitsvergleich!). Im besten Fall kommen sie mit einem Artnamen heraus, welcher dir in das linke Ohr hinein- und ein paar Tage später durch das rechte Ohr wieder hinausgeht. Du weißt dann zwar, wie dieser Pilz mutmaßlich heißt, aber in Sachen Bestimmungskompetenz ist nichts dazugewonnen. Dir hat es nichts gebracht, dass ein Anderer deinen Pilz erkannt hat (vielleicht das auch nur meint). Stehst du später im Wald vor einem anders aussehenden Exemplar derselben Art, erkennst du die Art nicht wieder.
Eigenes Bestimmen geht wie jede anspruchsvolle Fähigkeit nicht ohne eigenes Kopfzerbrechen und ziemlich massive Zeitinvestition. Man behält Pilzarten meistens nur dann im Gedächtnis, wenn man sie tatsächlich selber mühsam bestimmt hat und sie nicht gschwind durch andere Auskenner hat bestimmen lassen. Als erstes sollte man sich von den Vergleichsfotos ("Fahndungsfotos") lösen und die Beschreibungen zu den Pilzen, die im Pilzbuch ebenfalls zur Verfügung stehen, würdigen. Man sollte sich auch schnell von dem Zwang, jeden im Wald und Feld gefundenen Pilz auf die Art bestimmen zu wollen, freimachen. In den herkömmlichen, preisgünstigen Pilzbüchern ist etwa nur jede fünfzigste Art überhaupt drin, d. h. in 95 % aller Fälle kommt dein gefundener Pilz in deinem Pilzbuch gar nicht vor. Selbst recht gute Pilzkenner sind oft keine guten Bestimmungsmethodiker, sondern sie kennen die einzelnen Arten, die sie kennen bzw. zu kennen glauben, einfach nur auswendig. Wesentlich sinnvoller ist es dagegen, sich im Pilzbuch erstmal etwas bestimmungsrelevante Theorie anzulesen: was sind Gattungen, was sind Arten, was sind Sporen und welche Farben können sie haben, was ist ein Hymenium und wie kann es ausgebildet sein, was ist ein Velum und wie kann es ausgebildet sein. Dies sind unerlässliche Voraussetzungen für methodisches Bestimmen. Das kann man in Zeiten machen, in denen es draußen keine Pilze gibt; diese Zeiten kommen ja demnächst.
Schreibe dann einmal die Arten auf, die du schon kennst (da kommen bei Leuten, die sich oft mit Pilzen beschäftigen, meist schon zwischen 50 und 100 Arten zusammen!). Dazu schreibst du etwa die gleiche Menge Arten dazu, die du noch nicht kennst, aber in den nächsten Jahren kennenlernen willst. Bei diesen Arten wird deine Motivation, die Art richtig und methodisch zu bestimmen, besonders hoch sein. Später, wenn du dann an einer Exkursion in deinem Pilzverein oder auf einem Pilzbestimmungsseminar teilnimmst, schaust du gezielt nach diesen Arten und lässt alles andere unbeachtet links liegen. Schau, dass du auf einer solchen Exkursion nicht mehr als fünf, sechs Arten zusammensammelst - mehr kann man bestimmungstechnisch nicht sinnvoll nachbearbeiten, sondern verzettelt sich und verliert schnell den Überblick. Selbstverständlich kannst du auch, wenn keine Amaniten zu finden sind, kurzfristig etwa auf Röhrlinge, Milchlinge, Ritterlinge oder dergleichen umschwenken - aber auch dann bitte nicht mehr als fünf, sechs Arten auf einmal.
Zum Beispiel willst du eine dieser Exkursionen nutzen, um häufig vorkommende Amaniten zu bestimmen: Perlpilz, Grauer Wulstling, Narzissengelber Wulstling, Gelber Knollenblätterpilz, Pantherpilz, Grüner Knollenblätterpilz, Fuchsbrauner Scheidenstreifling. Du würdest dann auf dieser Exkursion Amaniten einsammeln - aber nichts anderes, das machst du dann bei der nächsten Exkursion, denn das würde dich von der konzentrierten Amanita-Bestimmungsarbeit abhalten. Du musst nicht in zwei Jahren alle Gattungen bestimmen können, sondern solltest in Jahrzehnten denken, und dir die Gattungen jahresweise nacheinander vornehmen. Anschließend versuchst du herauszufinden, ob das, was du eingesammelt hast, überhaupt Amaniten sind. Du legst deine Funde sauber nebeneinander auf den Tisch und gehst nach den Bestimmungsmerkmalen für die Gattung Amanita vor: weiße Lamellen, Stielbasisknolle, Velumreste usw. Bist du sicher, dass all deine Funde Amaniten sind, kommt der Direktvergleich innerhalb der Gattung: Hutrand glatt oder gerieft, Form und Velumschmuck der Knolle, Geruch, Hutfarbe... Die Bestimmungsmerkmale für die Gattung und innerhalb der Gattung hast du dir als Theoriewissen angelesen (siehe oben!) oder von einem Auskenner im Pilzverein bzw. dem Seminarleiter geben lassen und wendest das jetzt an.
Du schnappst dir also das Pilzbuch, schlägst die Amanita-Seiten auf und lässt dich zunächst einmal vom Foto leiten. Hast du eine frappierende Ähnlichkeit zwischen deinem Fund und dem Pilzbild festgestellt, gehst du die Beschreibung mit dem Pilz vor dir Schritt für Schritt durch. Beschreibungen passen nie zu 100%, haben manchmal missverständliche Forumlierungen und irrelevante Angaben (bei Amaniten z. B. der Geschmack, den man bei Amanita selbstredend nicht prüft). Daher darf man bei Beschreibungen nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Stimmt die Beschreibung zu 90%, ist es nach vernünftigem Ermessen diese Art. In jeder Gattung gibt es aber Merkmale, die müssen zu 100% übereinstimmen. Bei Amaniten wäre das z. B. die Knollenform, der Velumschmuck und der Geruch. Nicht zu 100% übereinstimmen muss z. B. die Hutfarbe oder die Pilzgröße, die bei Amanita ziemlich veränderlich sein können. Danach vergibst du einen dich am meisten überzeugenden Namen für den Pilz. Nun gehst du zu einem Auskenner in deiner Pilzlergruppe und lässt deinen Vorschlag bestätigen oder verwerfen. Im Idealfall sagt dir der Auskenner nicht nur die andere Art, sondern zeigt dir auf, an welcher Stelle beim Bestimmen der Fehler gelegen hatte. Der Auskenner kann z. B. auch weiterhelfen, wenn sich deine Bestimmungsarbeit festgefahren hat.
Nun, da du dir auf diese Weise ein innerliches Bild von den fünf bis sechs Amanita-Arten verschafft hast, gilt es dieses innerliche Bild zu festigen. Das machst du, indem du in den darauffolgenden Wochen gezielt nach diesen Amanita-Arten, die du auf dem Seminar bestimmt hattest, Ausschau hältst, also sie versuchst wiederzufinden und wiederzubestimmen. Besonders schön ist es, wenn du dabei auf andere Amanita-Arten triffst und dir anhand abweichender Merkmale auffällt, dass das was anderes als das zuvor Gesehene sein muss.
Wenn du das mit den Amaniten so gemacht hast, kommen andere, bisher von dir nicht weiter beachtete Pilzgattungen an die Reihe. Außer Amaniten machen auch Röhrlinge bestimmungstechnisch viel Spaß, ebenso Ritterlinge, Phlegmacien, Riesenschirmpilze, Erdsterne, Champignons, Täublinge, Milchlinge oder auch Hutpilze, die büschelig an Holz wachsen. Mit Ausnahme der Täublinge kommt man in diesen Gattungen auch ohne Mikroskop recht weit voran.
FG
Oehrling