Das hängt halt davon ab, wie gut die Daumenregel ist. Jede Pilzbestimmung folgt einem Satz von Regeln. Man klappert die Merkmale ab und kommt dann zur Art, oder zur Gattung. In vielen Fällen könnte man mit mehr Fachwissen die Art bestimmten, aber die sicher bestimmte Gattung reicht ggf. trotzdem schon aus, um über die Essbarkeit zu urteilen. So landet dann sicher auch mancher nicht genauer bestimmte (und teils schützenswerte!) Raufußröhrling im Pilzkorb. Bei den nicht-rötenden Riesenschirmlingen mit verschiebbarem Ring und genatterten Stiel ist das dann auch nicht anders, oder bei Milchlingen mit roter Milch.
Wenn die Daumenregel alle Kriterien enthält, um giftige Arten sicher auszuschließen, dann ist an ihr auch nichts auszusetzen. Allerdings kann durchaus passieren, dass durch Forschung einer der Pilze, der die Regel erfüllt unter Giftverdacht gerät und dann ist ggf. die ganze Regel hinfällig oder muss um ein weiteres einschränkendes Merkmal - wie hier die Natterung - erweitert werden. Und ist nicht genau das auch der Fall, beim Jungfernschirmling? Der galt früher als Speisepilz und jetzt steht er in Verdacht Magen-Darm-Beschwerden auszulösen und deswegen ist das "genattert" als zusätzliches einschränkendes Kriterium notwendig? Klar ist natürlich, dass jede weitere Einschränkung dann auch potentiell essbare Pilze ausschließt. Aber es geht ja nur darum zu urteilen, ob alle, die die Regel erfüllen essbar sind und nicht umgekehrt (das ist der kleine aber feine Unterschied zwischen Implikation und Äquivalenz).
Die Daumenregeln muss halt immer wieder validiert werden, dass ist aber bei der sicher auf Artebene bestimmten Art auch nicht anders. Wenn ich einen Kahlen Krempling, oder eine Nebelkappe oder eben auch den Jungfernschirmling auf der Artebene sicher bestimmen kann, aber nichts davon "mitbekomme", dass die inzwischen als giftig gelten, weil ich mit veralteter Literatur arbeite, oder mich auf meinem Wissensstand ausruhe und mich nicht mehr stetig weiterbilde, dann spielt es ja keine Rolle, ob ich mit der Daumenregel oder mit der genau bestimmten Art den Jungfernschirmling geerntet habe.
Natürlich ist es denkbar, dass man auch mit einer Daumenregel einen Fruchtkörper von der Art her treffend makroskopisch "ermitteln" kann. Mein Einwand war ja nur, dass ich solche Regeln nicht wirklich für tauglich ansehe und man sich hinsichtlich der Essbarkeit nicht darauf verlassen sollte.