Hallo Gernot,
dann geht es Heute an die Auflösung des Rätsels, das sicher auch für fortgeschrittene Pilzfreunde nicht einfach war.
Vorbemerkung:
Mit diesem Rätsel wollte ich am Beispiel –žFliegenpilz–œ (der vor Kurzem in diesem Forum diskutiert wurde) zeigen, dass viele Pilzarten (übrigens auch Speisepilze und ihre giftigen Doppelgänger) eine Merkmals-Variabilität haben, die sich ein Speisepilzsammler nicht vorstellen kann.
- Der Anfänger läuft meist (ohne fundierte Merkmalskenntnisse) mit einem populärem Pilzbuch (für mich gleichgültig, ob ca. 200 oder 1.200 Pilzarten abgebildet werden) in der Hand in den Wald und vertraut auf die Werbung des Verlags, dass damit Pilze eindeutig und sicher bestimmbar sind.
- Hut ab, wem dies gelingt: Mir ist es bis Heute noch nie gelungen, eine mir unbekannte Pilzart im Wald nach Buch zu bestimmen.
---> Ganz im Ernst; Ich kann nur jedem –žKüchen-Mykologen–œ empfehlen:
(1) Unbekannte Pilzarten einem –žPilzberater–œ (neuerdings werden die Pilzsachverständige genannt) zur Begutachtung vorzulegen.
(2) Als Gast (wenn man sich die ca. EUR 10,00 –“ 20,00 teuere jährliche Mitgliedsgebühr ersparen will) die regelmäßigen Treffen oder Exkursionen eines –žPilzvereins–œ in der Nähe zu besuchen.
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Ergebnis
Zitat von Pete Longhorn
Hier der Grund: Rätsel lesen, lange darüber nachdenken, zu den Pilzbüchern rennen, draufkommen, dass die gesuchten Arten nicht drinnen stehen, im Internet nachschauen, dort steht auch nur ein Teil der gesuchten Arten, zurück zu den Pilzbücher, die ganz alte Literatur ausgraben und schön langsam draufkommen. Und das auf mehrere Stunden aufgeteilt.
- Ja das Theater kenne ich. Aber es macht auch Spass, ein sicher nicht einfaches Rätsel zu lösen und schult übrigens das Gefühl für Merkmale ungemein. Und wenn ich mir das Ergebnis Deiner Recherche anschaue, dann kommt bei Dir sicher kein Frust auf:
Bravo Gernot: Eine Klasseleistung hast Du hier abgeliefert:
(1) Du hast klar erkannt, dass ich nur –žFliegenpilzsippen–œ darstelle.
(2) Und ich stimme Deiner Var./Formen-Einschätzung praktisch ohne Einschränkung zu.
(3) Insbesondere Deine Gedankengänge und Schlussfolgerungen haben mir sehr gefallen. Und ich habe dabei (---> vergleiche meinen Kommentar zu Bild 3) auch etwas dazugelernt. Danke
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Einige Anmerkungen zum –žFliegenpilz–œ
In seiner typischen Erscheinungsform (Amanita muscaria var muscaria f. muscaria) mit leuchtend rotem, weißbetupftem Hut) ist er in vielen Kinderbüchern und der Populärliteratur dargestellt und wird bereits von Kindern im Vorschulalter erkannt.
Weit weniger bekannt ist, dass der –žFliegenpilz–œ (Amanita muscaria (L.) Pers.) auch in abweichenden Formen und Farben vorkommt, die in der Literatur (die populäre Literatur ignoriert dies weitgehend) teilweise auf Artrang, meist aber als Varietät oder Form (vergleiche [1]) beschrieben werden, z.B.
- A. muscaria var. alba mit weißlichem bis gräulichem Hut
- A. muscaria var. aureola mit +- schuppenfreiem, orangegelbem Hut
- A. muscaria var. emilii Riel = A. pseudoregalis Pluvinage (?) mit creme bis hellgelblichem Hut
- A. muscaria var. flavivolvata mit rotem Hut und gelblichen Schuppen, bei [2] als forma beschrieben
- A. muscaria var. formosa, mit leuchtend gelbem bis gelb-orangenem Hut
- A. muscaria var. muscaria, die Typusform mit rotem Hut und weißen Schuppen
- A. muscaria var. persicina mit pfirsischfarbener Hutmitte
- A. muscaria var. puella mit grazilem Fruchtkörper und lachsfarbenem Hut
- A. regalis (Königs-Fliegenpilz, Pilz des Jahres 2000) mit leberbräunlichen Hut.
Die oben genannten Rangstufen werden nicht von allen Autoren anerkannt. Beispiel: [3] führt regalis als Varietät und aureola als forma; [4] hält aureola für taxonomisch nicht relevant, [5] führt regalis und formosa als Varietät; [2] unterscheidet weitere Varietäten und Formen.
Die Fliegenpilzsippen haben (mit Ausnahme der Albinoform var. alba) ein gemeinsames Merkmal: –žkräftig gelbe (nach Literatur auch orange !?) Zone unter der Huthaut, die man bereits im –žeiförmigen–œ Jugendzustand erkennen kann.
Die Unterscheidungsmerkmale stützen sich meist auf Farbspiele/Farbänderungen (im Jugend und Reifezustand) von Hut und Velum, Ausprägung der Hüllreste auf dem Hut, sowie Ausbildung der Volvazone an der Stielbasis. Die Zukunft wird zeigen, ob einige der heute noch auf Var.-Rang beschriebenen Arten nicht zurückzustufen sind bzw. taxonomisch wertlos sind.
- Übrigens , noch eine Randbemerkung zum Fliegenpilz:
---> Das Kinderlied –žEin Männlein steht im Walde–œ hat (auch wenn dies in der Pilzliteratur noch so oft erwähnt wird) nichts mit dem –žFliegenpilz–œ zu tun !!!
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Auflösung und Bewertung der Bilder
- Ich werde dabei bei den wissenschaftlichen Namen [2] als Referenz benutzen. Der aufmerksame Leser
Bild 1: Unterscheidet sich von dem –žRoten Fliegenpilz–œ (Amanita muscaria (Linné: Fries) Lamarck [var. muscaria] f. muscaria nur durch die gelben Hüllreste auf dem Hut und flockig gelbe Färbung am Ringrand.
- Ein Schlüsselversuch mit [2] führt ohne Irritation über 1b (Hut anfangs rot), 10b (Velum nicht weiß bis weißlich), zu 13a (Velum gelblich bis gelb oder beige-gelblich, auch im Alter nicht gräulich verfärbend, Stielring und manchmal Lamellen besonders bei jungen Fruchtkörpern +- gelblich:
(= A. muscaria var. formosa ss. Gillet, Boudier et auct. pl. non Persoon)
A. muscaria [var. muscaria f. flavivolvata (Singer) Neville & Poumarat.
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Bild2 Dieser Fruchtkörper mit seinem leuchtend roten, von Hüllresten weiß –žbetupften–œ Hut, und den warzigen Gürtelzonen an der Stielbasis sollte auch ein Anfänger ohne Schwierigkeit erkennen:
–Roter Fliegenpilz– (A. muscaria (Linné: Fries) Lamarck [var. muscaria] f. muscaria)
- Irritieren könnte evtl. (genau deshalb habe ich dieses Bild ausgewählt), dass nicht der gesamte Hut mit Hüllresten belegt ist. Dies liegt daran, dass die Hüllreste leicht abwischbar sind und häufig durch Regen weggewaschen werden können.
- Doch, bei einem Schlüsselversuch mit [2] gibt es bezüglich der Bewertung der –žHüllreste auf dem Hut–œ bei Punkt 11 ein kleines Problem:
1b) Hut anfangs rot --->10
10a) Velum meist weiß bis weißlich ---> 11
11a Velumreste auf dem Hut +- fehlend, über der Basalknolle als kurze ringförmige Volva mit unregelmäßigen, +- breiten Platten ausgebildet
---> A. muscaria [var. muscaria] f. puella (Barsch) Gilbert
11b) Velum bildet zahlreiche Warzen oder Flocken auf dem Hut und auf dem Stiel oberhalb der Basalknolle ---> 12
12b) Gipfel der Basalknolle mit ein oder mehreren Warzengürteln belegt.
---> A. muscaria (Linné: Fries) Lamarck [var. muscaria] f. muscaria
- Leider ist die Vola an der Stielbasis unscharf abgebildet und nicht genau zu beurteilen. Da ich am rechten Stielrand einer Fruchtkörpers –žlappige Reste–œ zu entdecken glaube, würde ich (beachte die Flockenanzahl auf dem Hut) die Alternative A. muscaria [var. muscaria] f. puella (Barsch) Gilbert nicht völlig ausschließen.
Eine zweifelsfrei typische ---> A. muscaria (Linné: Fries) Lamarck [var. muscaria] f. muscaria sieht so aus:
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Bild 3: Das ist eindeutig schwieriger zu beurteilen.
- Eindeutig A. muscaria s.str. habe ich auch schon völlig durch Regen abgewaschene Hüllreste und stark gegen Orange entfärbten Hut beobachten können.
- Doch Gernot (danke für diesen Hinweis) hat völlig Recht, wenn er anzweifelt, dass dies ein witterungsbedingt farblich veränderter –žRoter Fliegenpilz (im engeren Sinne) ist.
---> Denn, wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass (a) der Fruchtkörper inkl. Stielbasis zu schlank erscheint, (b) die Volvareste an der Basis +-lappig (sieht man schön auf der Vorderseite des Stiels) und nicht warzig sind und auch der Ring nicht so Recht zum –žRoten Fliegenpilz passen.
Ein Schüsselversuch mit [2] führt zu folgendem Ergebnis:
1a) Hut anfangs nicht rot --->2
2b) Hut anfangs weder weiß noch rot ---> 4
4b) Hut gelblich, gelb oder orange, wenigstens am Anfang ---> 6
6b) Hut gelblich bis orangefarben, im Laufe der Entwicklung nicht (oder wenig) bräunend ---> 7
7b) Hut zitronengelb bis lebhaft orange ---> 8
8a) Hut deutlich glockenförmig, dann mit brustwarzenartigen Buckel verflachend, ohne oder fast vollständig mit flockenartigen Velumresten belegt, Volva an der oberen verdickten Basis schmal ringförmig oder +- breite Fetzen bildend.
---> A. muscaria var. aureola (Kalchbrenner) Quélet
8b) Hut anfangs halbkugelig, danach verflachend, ohne Buckel verflachend, mit zahlreichen Velum-Flocken belegt.
---> A. muscaria var. formosa Persoon (Sammelart)
Tja, da ist guter Rat teuer: Ich spekuliere einmal wild (nachdem ich mir weitere Bilder angeschaut habe) wegen des fehlenden Buckels auf 8b) und vertraue darauf, dass die Hüllreste abgewaschen wurden.
===> Aber das ist reine Spekulation !!!–œ und die Alternative A. var. aureola würde ich auch nicht völlig ausschließen.
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Bild 4: Klar ist, man beachte die Gürtelzonen an der Stielbasis, dass es sich um eine –žFliegenpilz–œ-Sippe handeln muss und deshalb A. gemmata (Narzissergelber Wulstling) ausgeschlossen werden kann.
---> Doch welche Sippe, dies dürfte (Gernot hat bereits darauf hingewiesen) bei einem derartigen Baby kaum einigermaßen sicher festzustellen sein.
---> Der Fotograf (Georg Ottmann) hat dieses Bild als A. muscaria (gelbe Form) bestimmt. Und mehr als dies kann ich (wie Gernot auch) trotz neuerer Literatur diesem Bild nicht abgewinnen.
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Bild 5 und 6: Bei der Bestimmung steht man (gebe ich zu ) vor einem größeren Problem, zumal Bild 6 einen Rotstich zeigt.
- Klar ist, dass es sich um eine Amanita-Art handeln muss.
---> Weiße –žKnollenblätterpilze–œ (A. verna, A, virosa) kann man wegen der Form der Stielbasis und auch wegen der Hüllreste sofort ausschließen.
---> Insbesondere die Warzenzonen an der Stielbasis (typisch für z.B. A. rubescens (Perlpilz), A. excelsa (Grauer Wulstling), A. solitaria (Stachelschuppiger Wulstling), A. strobiliformis (Franziger Wulstling), A. muscaria (Fliegenpilz)) schränken die Auswahl m.E. bereits sehr stark ein. Und wenn man sich Habitus, Hüllreste auf dem Hut und insbesondere den –žzahnradartigen–œ Ringrand anschaut und mit den Bildern 1 und 2 vergleicht, da spätestens sollte –žder Knoten platzen–œ und der Fliegenpilz–œ in Betracht gezogen werden. Man wird da schnell feststellen, dass außer der fehlenden Hutfarbe alle typischen –žFliegenpilz-Merkmale–œ passen. Ja, gezeigt wird in der Tat ein Albino-Fliegenpilz (gibt es auch bei anderen Pilzarten), der in der Literatur als
A. muscaria var. alba (Peck) Peck
beschrieben wird.
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Literatur:
[1] J. Breitenbach / F. Kränzlin (1995): Pilze der Schweiz Band 4, Mykologia Luzern
[2] P. Neville –“ S. Poumarat (2004) : Amaniteae, Fungi Europaei Vol. 9
[3] Jakob E. Lange ():Flora Aragicina Danica (1935), Reprint Massimo Candusso (1994)
[4] G.J. Krieglsteiner (2003): Die Großpilze Baden-Württembergs Band 4, Ulmer Verlag
[5] A. Ricken (1915): Die Blätterpilze, Reprint Massimo Candusso
Grüße
Gerd
PS.: Eigentlich schade, dass Rätsel hier nicht sonderlich beliebt sind.